Anfang der 1970er Jahre ist der Rennsport in Europa noch ein großes, nach Benzin und Motoröl duftendes Abenteuer. Jedes Wochenende trifft sich die Szene auf einer anderen europäischen Strecke, um gemeinsam dem Rausch der Geschwindigkeit zu frönen. Es gibt zahllose Rennserien, Profifahrer starten ganz selbstverständlich neben talentierten Amateuren, abends stehen die Rennwagen oft neben den Zelten ihrer Besitzer. Noch geht es um Sportsgeist und Spaß, nicht das ganz große Geld. Autos wechseln ständig die Hände, werden modifiziert, wechseln lässig zwischen den Rennklassen. Ihre Sponsoren suchen die Fahrer meist auf eigene Faust. Auch die Schweiz hat eine große und aktive Rennszene – wenn es im Land auch keine Rundstrecke mehr gibt. Dafür trainieren die Piloten ihr Fahrgeschick auf den Serpentinenstraßen der Alpen.
Einer der aufstrebenden Schweizer Rennfahrer dieser Zeit ist Bernard Chenevière. In den 1960er Jahren hat er sich bei Bergrennen seine Sporen verdient, seit 1970 widmet er sich der Sportwagen-Weltmeisterschaft als Vollzeitpilot. Seine sportliche Heimat ist der westschweizerische Porsche Club Romand, für den er gemeinsam mit Fahrern wie Claude Haldi startet, sowie die angesehene Rennwerkstatt von Guido Haberthur in Lausanne. Der Höhepunkt jeder Saison sind natürlich die 24 Stunden von Le Mans. 1973 startet Chenevière dort gemeinsam mit Fahrern der Escuderia Montjuich auf einem Porsche 908/3, das Team fährt den Spyder souverän auf einen fünften Platz und schlägt dabei große Piloten wie Vic Elford und Jürgen Barth. Dem Publikum bleibt der Rennwagen aus der Romandie vor allem wegen seiner Lackierung im Gedächtnis – trägt er doch das weltberühmten Logo der Schweizer Schokoladenmarke Toblerone.
Bei Porsche neigt sich derweil die Ära der Sportprototypen ihrem Ende entgegen. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht nun die Entwicklung neuer Rennwagen auf Basis des Porsche 911. Sie werden die Gruppe 4 für Jahre dominieren und in Le Mans, Daytona und bei der Targa Florio sogar siegreich gegen die gewaltigen Prototypen von Ferrari und Matra antreten. Das ultimative Rennsportgerät, das man 1974 als Privatier in Zuffenhausen erwerben kann, ist der Porsche Carrera RSR 3.0. Er löst den 2,8-Liter-RSR aus der Saison 1973 ab und verkauft sich sofort bestens: Rund 50 Exemplare werden gebaut. Auch Bernard Chenevière entscheidet sich für den neuen, 330 PS starken und rund 960 Kilo leichten Drei-Liter-Rennwagen. Der RSR mit Chassisnummer 911 460 9058 wird im März 1974 gefertigt und durch die Garage Haberthur ausgeliefert. Der Preis liegt bei 83.700 Franken.
Um den Rennsport zu finanzieren, spricht Bernard Chenevière bei Interfood in Lausanne vor – und sichert sich einen 100.000 Franken schweren Sponsorenvertrag mit Toblerone für die gesamte Saison. Mit den bekannten Logos beklebt und in den Markenfarben Rot und Crèmeweiß-Chamonix lackiert wird der Porsche von einer Werbe- und Dekorationsfirma in Chenevières Wohnort St. Sulpice, dann ist der “rasende Schokoladenriegel” fertig für seinen ersten Einsatz. Zusammen mit seinem Teamkollegen Peter Zbinden startet Chenevière seinen Toblerone-Renner für den Porsche Club Romand unter anderem in Monza, Spa-Francorchamps, Imola und auf dem Nürburgring - mit teils vielversprechenden, teils ernüchternden Ergebnissen. Vor allem John Fitzpatrick, der mit seinem RSR für GELO Racing fährt, ist ein kaum zu schlagender Konkurrent in der GT-Klasse.
Dann kommt der 15. Juni 1974, in Le Mans wird unter dunklen Wolken die Startflagge zum 24-Stunden-Rennen geschwenkt. Es ist die 5. Runde der Weltmeisterschaft, Bernard Chenevière und seine Mitstreiter Peter Zbinden und Michel Dubois starten mit ihrem rot-weißen RSR von Rang 32. Während die Matras die Prototypenklasse dominieren, kämpfen in der Gruppe 4 die Ferrari- und Porsche-Rennwagen Kopf an Kopf. Nach 24 Stunden und 4.261 gefahrenen Kilometern ist es schließlich geschafft: Das Team vom Porsche Club Romand hat sich den ersten 1. Platz in der Klasse, den 3. Platz in der GT-Kategorie und den 7. Platz in der Gesamtwertung gesichert. Als einziger Porsche liegt vor ihnen im Klassement nur der Turbo-RSR von Martini Racing, den Gijs van Lennep und Herbert Müller auf den zweiten Gesamtplatz pilotiert haben. Die Durchschnittsgeschwindigkeit, mit welcher der Toblerone-Porsche den Circuit de la Sarthe 313 Mal umrundet hat, liegt bei 177,539 km/h.
Le Mans ist ein großer Erfolg, doch die Saison ist für die Schweizer noch nicht gelaufen: Schon zwei Wochen später startet Bernard Chenevière auf dem Österreichring, dann in Hockenheim, sogar beim Freiburger Bergrennen auf den Schauinsland geht der Toblerone-RSR an den Start. Auch auf dem Nürburgring, in Brands Hatch, in Monza und auf dem Norisring fährt das Schweizer Team auf Sieg – doch immer wieder sind es die optimierten RSR von Gelo Racing und Kremer, die sich an ihnen vorbei auf die vorderen Plätze kämpfen. Ende der Saison entscheidet Bernard Chenevière, sich von seinem Rennwagen zu trennen. Er verkauft den RSR im Februar 1975 für 70.000 Franken an William Vollery, einen jungen Schweizer Rennfahrer. Dieser lässt den Wagen gelb-schwarz lackieren und setzt ihn in den kommenden zwei Jahren bei verschiedenen Rennen in ganz Europa ein. Auch bei den 24 Stunden von Le Mans startet der RSR erneut – statt des stolzen Toblerone-Livrées trägt den Porsche nun allerdings den Aufkleber “Sponsor help me” auf der Frontscheibe. Er wird das Ziel nicht erreichen.
1977 ist der Carrera RSR im Rennsport nicht mehr der letzte Schrei. Die Benchmark in der Gruppe 4 setzt seit kurzem der neue Porsche 934 mit seinem Turbomotor. So entschließt sich Guido Haberthur, der den einstigen Toblerone-Porsche inzwischen zurückgekauft hat, den Saugmotor-Rennwagen in ein Turbo-Katapult zu verwandeln. In Le Mans startet der Carrera RSR nun zum dritten Mal, allerdings ganz offiziell als Porsche 934 und mit weiß-blauem Danone-Sponsoring auf der modifizierten Karosserie. Nach 10 Stunden müssen sich die Fahrer Eugenio Baturone, Rafael Tarradas und Juan Fernandez Garcia allerdings geschlagen geben. Derweil hat der Schweizer Rennfahrer und Rallyemeister André Savary ein Auge auf den Porsche geworfen. Noch in Le Mans wird über den Verkauf verhandelt. Für den Porsche, der auf den Rundkursen Europas zuhause war, beginnt eine zweite Karriere als Rallyewagen – auf Landstraßen, Feldwegen und Schotterpisten.
André Savary belässt den 934-Look, tauscht den Turbomotor jedoch wieder gegen einen Sauger aus – und beginnt kurioserweise, Antrieb und Getriebe mit seinen Initialien zu stempeln. Hinter der kuriosen Anekdote steckt eine einfache Erklärung: Guido Haberthur, der den Porsche weiterhin betreut, ist bekannt dafür, Teile zwischen seinen Autos nach belieben hin- und herzutauschen. Und der neue Besitzer möchte gerne den überblick behalten. Noch heute entdeckt man beim Blick in die Technik des RSR immer wieder das Kürzel A.S. 1978 und 1979 tritt André Savary mit dem Porsche RSR bei den meisten Rennen der Schweizer Rallyemeisterschaft an – trotz korrekter Teile allerdings nicht immer mit dem gewünschten Ergebnis. “André Savary zeigte in der ersten Spezialprüfung, in der Königsetappe von Sonzier nach Les Avants oberhalb von Montreux, wen es zu schlagen galt”, liest man 1978 im Magazin Motorsport Aktuell über die Rallye des Neiges. “Doch Savarys Führungsritt dauerte nur bis zur dritten Etappe: ein Ausflug in ein liebevoll gepflegtes Bauerngärtlein kostete ihn rund eine Minute, danach platzte der Motor.” Bei der Jura-Rallye kommt Savary von der Straße ab – mit 170 km/h.
Und wieder wird der Porsche von seinem Besitzer umgebaut, Spoiler und breite Kotflügel werden entfernt. Fast könnte man den RSR nun mit einem Porsche 911 Turbo verwechseln. Während sich Claude Haldi, Bernard Chenevières einstiger Teamkollege, in der Saison 1979 mit einem Turbo-Porsche den Titel holt, wird André Savary 1979 und 1980 Schweizer Vize-Rallyemeister. Nach einem weiteren Vize-Titel mit dem Rennfahrer Christian Blanc hinterm Steuer landet der RSR schließlich bei seinem sechsten Besitzer: Der 22-jährige, in der Schweiz lebenden Niederländer Christian van Dijk nimmt den Porsche nochmals mit auf die Rallye-Piste, startet zuletzt 1983 nochmals bei der nervenaufreibenden Tour de Corse. Dann wird der einstige Toblerone-Rennwagen nach neun abenteuerlichen Jahren in den Ruhestand verabschiedet. Sein beschauliches Dasein verbringt der Le-Mans- und Rallye-Veteran fortan im Genfer Automobilmuseum.
Fast hätte dies das Ende der Geschichte sein können. Doch Ende der 1990er Jahre entdeckt der Genfer Industrielle Peter F. Baumberger den Porsche RSR und lässt ihn restaurieren. 2008 findet er schließlich den Weg in die Sammlung von Stephan Meyers in Belgien. Meyers liegt die ursprüngliche Historie des RSR am Herzen. Er bittet den deutschen Porsche-Historiker Ulrich E. Trispel, die Geschichte zu rekonstruieren. Zudem lässt er das Auto bei Marc de Siebenthal in der Schweiz für den historischen Rennsport vorbereiten und in den authentischen Toblerone-Look zurückversetzen. Seitdem erstrahlt der RSR wieder wie einst in Le Mans – detailgetreu rekonstruiert bis zu den Stickern und Schriftzügen in der zeitgenössischen Typografie. 2011 wird der RSR schließlich an seinen heutigen Besitzer verkauft, einen Schweizer Privatrennfahrer, der ihn bis heute begeistert und erfolgreich im historischen Motorsport einsetzt. So wird die bewegte Geschichte des “Toblerone-Porsche” als einem der bemerkenswertesten Rennwagen der Schweiz heute in Le Mans, Spa, Monza und bei der Tour Auto im besten Sinne fortgeschrieben.
Fotos von Andrea Klainguti für Classic Driver © 2020