Mit dem 300SL (W198) übertraf sich Mercedes selbst und schockierte auf der New York International Auto Show von 1954 die Welt mit seinem atemberaubenden Flügeltürer-Sportwagen. Der schlanke Zweisitzer hob sich wie ein wunder Daumen von den ultraluxuriösen Limousinen der Marke ab, die von den führenden Politikern der Welt so geliebt wurden. Das vorhandene Know-how, um auch für die noch leicht ramponierten Straßen des Nachkriegseuropas ein komfortables Fahrwerk abzustimmen, kam auch dem schnellsten Serienfahrzeug der Welt zugute – und genau das war der 300SL bei seiner Markteinführung.
Doch nicht alle 300 SL waren gleich: Vier von ihnen wurden von Mercedes-Benz behalten und auf Wunsch des Renningenieurs und Werksfahrers Karl Kling und des Leiters der Mercedes-Sportabteilung, Alfred Neubauer, für Motorsporteinsätze aufbereitet. Nur zwei existieren heute noch, und dieses wunderschöne Stück Automobilskulptur ist eines davon. Angeboten von DD Classics (London) ist es Ihre Chance, einen der bedeutendsten Mercedes-Rennwagen aller Zeiten zu erwerben.
Das Fahrgestell mit Nummer 198.040.5500819 lief am 31. Oktober 1955 vom Band und ging zunächst als Ausstellungsfahrzeug an die Mercedes-Benz-Niederlassung Dortmund. In seiner ursprünglichen und auch heute wieder betörenden Farbkombination aus Silbergrau-Metallic über einem Interieur mit blaukarierten Stoffsitzen sowie Rudge-Felgen mit Zentralverschluss muss er auf die Dortmunder wie ein UFO gewirkt haben. Unverkauft kehrte der Wagen am 1. Februar 1956 ins Werk zurück, wo er auf Wunsch von Neubauer der Sportabteilung zugeführt wurde. Hier begann seine Metamorphose.
Offensichtlich fackelte „Don Alfredo” nicht lange, denn nur einen Tag später, am 2. Februar 1956, wurde ein neues Lastenheft mit 16 mechanischen Verbesserungen erstellt, die diesem Flügeltürer helfen sollten, der Konkurrenz in der Rallye-Europameisterschaft von 1956 den Schneid abzukaufen. Zu diesen Verbesserungen gehörte der Einbau einer Sportnockenwelle sowie von Sportfedern und -dämpfern, auch das Bremssystem wurde aufgewertet. Dazu die Aufhängung der Auspuffanlage verstärkt und Nebelscheinwerfer von Bosch plus Kappen zum Schutz vor Steinschlag für alle Scheinwerfer montiert. Eine Kopfstütze für den Beifahrer, ein großes Reserverad im Kofferraum und zwei Wagenheber machten das Paket komplett.
Zum siegverdächtigen Rennwagen fehlte Neubauer jetzt nur noch eine entsprechend potente Fahrercrew, die er in Walter Schock und Rolf Moll fand. Der in Stuttgart-Wangen geborene Schock war nach einer Mechanikerlehre in der Versuchsabteilung von Daimler-Benz gelandet. Seinen ersten sportlichen Start hatte er 1954 bei der 2. Rallye Solitude, schon damals mit seinem kongenialen Partner Rolf Moll auf dem Beifahrersitz. Moll, ein Maschinenbauingenieur mit einer Begabung fürs Navigieren, entpuppte sich als ideale Ergänzung für Schock. Mit der Zeit sollte sich die Kombination mit ihrem schnellen, aber zuverlässigen Flügeltürer als äußerst konkurrenzfähig erweisen.
Neubauer rechnete sich für die Rallye-Europameisterschaft 1956 einige Chancen aus, aber sicherlich konnte selbst der alte Stratege nicht vorhersehen, wie erfolgreich sein Team abschneiden würde. Bei der Rallye del Sestrière hätten die Bedingungen für den leistungsstarken, heckgetriebenen Merc nicht schlechter sein können, denn eine kräftige Portion Schnee (es war Februar) schmälerte die Chancen von Schock/Moll ernsthaft. Trotz aller Widrigkeiten wurden sie Gesamtsieger, was sie im April bei der zermürbenden, über 2.650 Kilometer gehenden Rallye Akropolis in Griechenland wiederholten.
Zurück in Westeuropa, wartete auf das Schwaben Duo die Rallye de Genève, die vom 25.-27 Mai über knapp 1800 Kilometer über St. Etienne und Mailand zurück nach Genf führte. Am Ende sprang Platz zehn und der Sieg in der GT-Klasse über zwei Liter heraus. Die vom 20.-24. Juni gehende Rallye Wiesbaden war dann ein noch härterer Test für Mensch und Maschine. In ihren über 2800 Kilometer gehenden Parcours hatten die Organisatoren Geschwindigkeitsprüfungen auf dem Nürburgring, in Hockenheim und Montlhéry sowie Bergrennen in Belgien und Luxemburg eingestreut. So anstrengend das auch klingen mag, Schock und Moll waren der Aufgabe mehr als gewachsen und belegten mit ihrem Flügeltürer den neunten Platz in der Gesamtwertung und P1 in der Grand-Touring-Klasse über zwei Liter. Die letzte Veranstaltung des Jahres 1956 im „Gullwing“ war die Rallye Adria mit Start und Ziel in Opatija, die die SL-Crew auf Platz vier beendete. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie 39 Punkte gesammelt, genug, um sowohl die internationale als auch die europäische Rallye-Meisterschaft zu gewinnen. Mit der deutschen Sportwagenmeisterschaft in der GT-Klasse bis 1300 ccm und dem Sieg beim Eifelrennen war 1956 für Schock, der 1957 von Bundespräsident Theodor Heuss das Silberne Lorbeerblatt überreicht bekam, ein auch sonst extrem erfolgreiches Jahr. Krönung seiner Laufbahn war dann 1960 der Sieg bei der Rallye Monte Carlo auf einem 220 SE – natürlich wieder mit Moll als treuem Navigator.
Im Auftrag seines jetzigen Besitzers wurde dieser Flügeltürer ausschließlich von Mercedes-Benz Classic, Stuttgart, gelagert und gewartet, wo die dortigen Experten jeden Zentimeter des Fahrzeugs unter die Lupe nahmen. Das Auto wird von einem 97-seitigen Gutachten begleitet, das alle Aspekte des Fahrzeugs bestätigt. Es enthält auch von Alfred Neubauer und Karl Kling unterzeichnete Baubriefe und interne Vermerke sowie die gesamte Betriebsgeschichte des Autos von 1956 bis heute. Ab 2018 führte Mercedes- Benz Classic eine zweijährige mechanische Restaurierung durch, bei der der Motor ausgebaut, zerlegt und nach höchstmöglichem Standard neu aufgebaut wurde. Es wurden geschmiedete Mahle Aluminiumkolben eingebaut, während das Getriebe ebenfalls komplett überholt und aufgefrischt wurde. Wie Sie sich vorstellen können, ist dies nur ein Bruchteil der Arbeiten, die durchgeführt wurden, um den Wagen in seinen derzeitigen makellosen Zustand zu bringen.
Jeder Mercedes Flügeltürer würde in 99 Prozent aller weltweiten Autosammlungen einen Spitzenplatz einnehmen, aber dieses Exemplar ist von ganz besonderer historischer Bedeutung und Begehrlichkeit. Von den vier werksseitigen Wettbewerbs-Flügeltürern sind nur noch der Testwagen und dieses Exemplar erhalten. Da der jüngste Verkauf des 300 SLR Uhlenhaut Coupés für 140 Millionen Dollar zweifellos das Interesse vieler Sammler an Flügeltürern neu geweckt haben dürfte, sollten Sie sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, diesen atemberaubenden Rennsieger in Ihre Sammlung aufzunehmen. Wenn Sie also auf der Suche nach einem echten Hingucker sind, wenden Sie sich umgehend an DD Classics.
Fotos: Tom Shaxson