Vielleicht haben Sie schon einmal von einem kleinen italienischen Rennteam mit Namen Ferrari gehört? Was für eine Frage! In den Adern des Unternehmens pulsieren ein Dreivierteljahrhundert Motorsport auf höchstem Niveau, man weiß dort also das eine oder andere über die Konstruktion eines Champions. Wenn nun RM Sotheby´s behauptet, dass dieser Ferrari 410 Sport Spider von 1955 das alles überragende Meisterwerk der Magier von Maranello darstellt, muss dieser Rennwagen eine Historie besitzen, die das Superlativ belegt. Dazu gehören zahllose Siege, ein Who´s Who berühmter Fahrer hinterm Steuer und ein höchst ursprünglicher Zustand: Und dieses Auto erfüllt alle drei Kriterien.

Damals in den fünfziger Jahren war der American Dream noch sehr real und folglich war die amerikanische Sportwagen-Rennszene auch quicklebendig. Jeder mit einem gut gepolsterten Bankkonto konnte für eine ansehnliche Summe Dollar in den Kauf der allerbesten Werksrennmaschinen investieren, um sich dann mit den allerbesten Piloten zu messen. Dies waren die fernen Zeiten, als man noch nicht vom Kinderwagen direkt in den Sitz eines Karts hüpfen musste, um auf dem obersten Level des Motorsports konkurrenzfähig zu sein. 

Weil so viel Geld den Sport flutete, wurde eine Fülle an schnellen Sportwagen gebaut, um dieser Nachfrage gerecht zu werden. Einen der wichtigsten Vertreter dieser Rennmaschinen der fünfziger Jahre sehen Sie auf diesen Fotos: Es ist einer von nur zwei vom Werk eingesetzten Ferrari 410 Sports, ausgestattet mit einem „Big Block“ 4,9-Liter-V12 mit 24 Zündkerzen. Dieses Exemplar zählt außerdem zu den ganz wenigen Ferrari, deren Karosserie nicht nur vom großen Sergio Scaglietti entworfen, sondern auch gefertigt worden ist. Greift man das Bild vom springenden Pferd des Emblems auf, dann ist dies der reinrassige Vollblüter schlechthin. 

Und was ist mit denen, die in diesem Cockpit saßen? Zu dieser ausgewählten Gruppe kann man mit Juan Manuel Fangio den Formel 1-Piloten mit dem höchsten Siegquotienten zählen, der 0598 CM beim 1.000-Kilometer-Rennen von Buenos Aires in 1956 steuerte und danach die Schlüssel an einen kaum bekannten Hot Rod-Heißsporn namens Carroll Shelby weiterreichte. Dieser sollte am Steuer des 410 mehr Rennen gewinnen, als mit jedem anderen Fahrzeug während seiner aktiven Karriere: Acht Siege insgesamt und noch zwei Podiumsplätze. Fraglos hatte Shelby sein Herz an diesen Ferrari verloren, denn er schwärmte damals: „Wenn er läuft, kommt niemand an diesen Ferrari heran.“ Seine Zuneigung hatte Bestand. Jahre später betonte er, „dass es der beste Ferrari war, den ich je gefahren habe“. Kann es ein größeres Lob aus berufenem Mund geben?

Aber auch die anderen Fahrer bilden einen illustren Kreis: Phil Hill, Eugenio Castellotti, Masten Gregory, Richie Ginther, Joakim Bonnier, Bruce Kessler, Jim Rathmann und Chuck Daigh schlüpften alle irgendwann hinter das Steuer von 0598 CM. Insgesamt wurde dieser 410 Sport Spider in seiner aktiven Zeit bei 40 Rennen gemeldet und fuhr zwischen 1956 und 1958 elf Siege und 19 Podiumsplätze ein – damit gehört er zu erfolgreichsten geradzahligen Rennsportwagen Ferraris aller Zeiten.

Damit können wir genussvoll die Kriterien Rennsport-Renommee und berühmte Fahrer abhaken. Aber wie steht es um die Ursprünglichkeit? Exemplar 0598 CM besitzt heute den Motor, das Chassis und die Karosserie aus der Zeit, als es das Band von Maranello vor so vielen Jahren verließ. Das bringt uns zurück zu der Behauptung, dass „dies der beste, je gebaute Ferrari ist“. Weiter oben haben wir ein bisschen geflunkert, denn es waren nicht die Experten von RM Sotheby´s, die diese Aussage machten – es waren die Worte von Enzo Ferrari höchstpersönlich, erinnert von Carroll Shelby. Die Inschrift „Mr. Ferrari told me that this was the best Ferrari he ever built“ in Carrolls eigener Handschrift befindet sich auf dem originalen Tank des Autos – quasi das Sahnehäubchen auf einem schmerzlich begehrenswerten Stück Automobilgeschichte. 

Von dieser speziellen, brillanten Historie begleitet, könnten wir mit der gleichen Hingabe über einen Fiat Multipla berichten und würden auch genauso alles, wirklich alles veräußern, um dieses Fahrzeug zu besitzen. Tun wir aber natürlich nicht. Denn dieser 410 Sports Spider besitzt einer der schönsten Karosserien, die sich jemals über die Technik stülpen durfte, originalgetreu präsentiert in den damaligen Stallfarben, dazu ein perfekter mechanischer Zustand inklusive frisch aufgebautem Motor. 

Dies ist mehr als ein Auto. Es ist Ausdruck einer der größten Motorsportdekaden destilliert in ein physisches Objekt, das unfassbar von sterblichen Enthusiasten wie Sie oder ich gefahren werden könnte. Allerdings gibt es einen Haken, und an diesem Haken hängen ganz viele Nullen. Dieser 410 Sports Spider soll bei seinem Auftritt auf der Bühne von RM Sotheby´s Monterey 2022-Auktion für geschätzte 25.000.000 – 30.000.000 US-Dollar einen neuen Käufer finden. Halten Sie uns gerne für verrückt, aber wenn man den historischen Rang dieses Fahrzeugs bedenkt und die Tatsache, dass es von den ersten und letzten Trophäen, die Carroll Shelby im 0598 CM errang, begleitet wird, dann ist dieser Schätzwert zwar kein Schnäppchen, aber tatsächlich wohl angemessen.

Fotos: RM Sotheby's