Als in den späten 80er-Jahren erstmals Gerüchte die Runde machten, nach denen die Ligne Droite des Hunaudières durch Schikanen in drei Abschnitte unterteilt werden solle, bereiteten viele Werks- und Privatteams ihre Autos auf die letzte Hochgeschwindigkeitsjagd auf der sechs Kilometer langen Geraden vor. Es war dann 1988, als der Pariser Garagist Roger Dorchy auf einem von Welter Racing genannten WM P88 mit 3,0-Liter-Peugeot-V6-Turbomotor und Michelin-Spezialreifen, mit 404 km/h) einen Rekord für die Ewigkeit aufstellte.
Houston, wir haben ein Problem
Geschwindigkeitsrekorde sind immer im Hinterkopf der Rennfahrer. Doch mit der ab dem 24-Stunden-Rennen von 1990 nun dreiteiligen Geraden ging es jetzt nicht mehr so sehr um maximale Topspeed, sondern den schnellstmöglichen Tanz zwischen den neuen Schikanen. Optimales Anbremsen und wieder Herausbeschleunigen hießen ab nun die Gebote der Stunde.
Als sich Mark Blundell im Training hinters Steuer seines Werks-Nissan R90CK klemmte, ging es ihm zunächst nur um eine gute Position unter den Top Ten und um ein besseres Kennenlernen des Autos. Alles schien nach Plan zu laufen, bis Blundell die Gerade vor sich sah und hochschaltete. Etwas schien nicht zu stimmen mit dem 3,5 Liter großen und von zwei Turboladern angefeuerten V8. Die Abblasventile (Waste-gates) hatten sich verklemmt und kamen so ihrer Aufgabe nicht nach. Als Folge rief der Motor ungehindert seine vollen 1.100 PS ab...
Sechs Sekunden vor dem Zweiten
Es war gegen 21 Uhr am Donnerstagabend und auf einer nahezu freien Runde, dass eine Lichtschranke auf der von den Engländern Mulsanne Straight genannten Geraden dem Nissan #24 mit 383 km/h erfasste. Blundell schaffte es, auch den Rest der ultraschnellen Piste unbeschädigt zu passieren. Auf einem Auto, das er zuvor noch nie gefahren hatte und dazu noch auf dem neu angelegten Abschnitt der Strecke. Sine Runde in 3.27,02 Minute fuhr er rein reaktiv und instinktiv. Er erinnert sich: „Jeder Input war ein purer Reflex, alles kam rasend schnell auf mich zu. Die Hälfte der Runde wähnte ich mich am Rande eines gigantischen Unfalls.“ Am Ende eroberte Blundell mit sechs Sekunden (!) Vorsprung auf den Brun Motorsport-Porsche 962 C von Oscar Larrauri die Pole-position. Der beste Jaguar lag 9,08, der schnellste Toyota 10,11 Sekunden zurück. Im Rennen fielen Blundell und seine Partner Julian Bailey und Gianfranco Brancatelli in der Nacht dann mit Motorschaden aus – doch diese Wahnsinns-Runde mit einem Schnitt von 236,5 km/h blieb für immer in den Annalen der 24 Stunden von Le Mans.
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