Wenn es bei einem Formel 1-Qualifying in den Kampf um die Pole-position ging, war dem damals 28-Jährigen Brasilianer die geballte Aufmerksamkeit des Publikums automatisch sicher. Hier in Monaco können an diesem 14. Mai 1988 nicht einmal ein Roulettetisch, eine Magnumflasche Champagner oder eine spärlich bekleidete Sonnenanbeterin die Rennbesucher ablenken – zu sehr zieht sie Sennas Ritt auf der Rasierklinge in den schmalen Straßen des Fürstentums in ihren Bann...
Monaco kam Sennas Fahrstil entgegen
In seinem erst dritten Rennwochenende mit McLaren-Honda – deren neuer MP4/4 die Saison 1988 dominieren sollte – bewegt sich der bereits siebenfache Grand Prix-Sieger während der letzten Qualifying-Session in einer Klasse für sich. Obwohl er seinen Teamkollegen Alain Prost fest im Griff hat, wird er zum Missfallen von Teamchef Ron Dennis immer schneller. Bald fährt er Zeiten, die über zwei Sekunden unter denen des Franzosen liegen....
Der ultratechnische Straßenkurs kommt Sennas zugleich aggressivem wie extrem präzisem Fahrstil optimal entgegen. Das bewies er schon mit dem zweiten Platz auf Toleman im Regenrennen von 1984 und seinem ersten Monaco-Sieg im Vorjahr auf dem Lotus-Honda. Während seine Konkurrenten Mühe haben, unter 1:27 Minuten zu kommen, schraubt Senna seine Zeit von 1.25,6 zunächst auf 1,24,4 und dann – in fast schon übernatürlicher Art und Weise – 1.23,998 Minuten herunter. So verbissen daraufhin Prost versucht zu kontern – am Ende findet er nur eine halbe Sekunde und bleibt 1,427 Sekunden hinter seinem neuen Teamkollegen zurück. Gerhard Berger trennen im Ferrari sogar schon knapp 2,7 Sekunden vom Pole-sitter – es war der Vorstoß in eine andere Dimension!
„Jenseits der bewussten Wahrnehmung“
In einem zwei Jahre später, erschienen Interview in Autocourse, schilderte Senna seine Pole-position-Runde als ein unterbewusstes Erlebnis. „Ich fuhr das Auto instinktiv, in einer anderen Dimension und jenseits meiner bewussten Wahrnehmung. Das Auto bewegte sich wie auf Schienen, die Strecke wurde zu einem Tunnel aus Leitplanken. Als ich merkte, dass ich über dem Limit war, lupfte ich und fuhr langsam zurück zur Box. Und sagte mir: Gehe nicht mehr raus, Du machst Dich verwundbar.“ Nur wer sich die Onboard-Aufnahmen dieser epischen Runde noch einmal anschaut, wird verstehen, warum sie bis heute als die wohl galaktischste Qualifying-Runde der Formel 1-Geschichte gilt. Sein nicht mehr von dieser Welt scheinender Parforce-Ritt durch den berühmten Swimmingpool-Komplex und sein stählerner Wille in der Sainte Devote zeigen einen Senna nahe der absoluten Perfektion.
Im Grand Prix am Sonntag fuhr der Brasilianer die Konkurrenz zunächst erneut in Grund und Boden, führte mit 50 Sekunden Vorsprung. Als dann von der Box das Kommando kam, langsamer zu machen, um den sicheren Doppelsieg nicht mehr zu gefährden, verlor Senna kurzzeitig die Konzentration und steuerte seinen McLaren in der 67. von 78 Runden in die Leitschienen der Portier-Kurve. Es reichte, um die Aufhängung irreparabel zu verbiegen. Danach kehrte Ayrton gar nicht mehr zur Box zurück, sondern verzog sich in das von ihm in Monaco gemietete Apartment.
Der Ausfall markierte jedoch einen Wendepunkt in Sennas Karriere. McLaren gewann insgesamt 15 der 16 Rennen der Saison 1988, allein sieben mit Senna. Am Ende wurde er denkbar knapp vor Prost zum ersten Mal Weltmeister. Ab 1989 siegte Senna dann fünf Mal infolge beim Monaco-GP und ist mit insgesamt sechs Erfolgen bis heute der Pilot mit den meisten Siegen im Fürstentum. Doch das Erlebnis aus der Qualifying-Runde von 1988, aus dem eigenen Körper herauszutreten, es kam danach nie mehr auf. „Das war das Maximum für mich – da war kein Millimeter mehr Raum. Dieses Gefühl, das Auto wie im Unterbewusstsein zu steuern, habe ich danach nie mehr erreicht.“
Photos: Rainer W. Schlegelmilch / Leo Mason / Popperfoto via Getty Images