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Über die Alpen nach Genf mit dem neuen Touring Sciàdipersia Cabriolet

Auf dem Genfer Salon zeigt die Carrozzeria Touring die offene Version ihres einzigartigen Sciàdipersia. Den Weg von Italien in die Schweiz legte Designchef Louis de Fabribeckers ganz klassisch „auf Achse“ über die Alpen zurück.

Wer in den Geschichtsbüchern der großen italienischen Designstudios blättert, stößt immer wieder auf amüsante Anekdoten, wie legedäre Showcars nur wenige Stunden vor Eröffnung des Genfer Salons fertig wurden und nach zahllosen Nachtschichten von den übermüdeten Designern persönlich – und unter Zuführung von reichlich Koffein – und mit angeklebten Prova-Nummernschildern über die Alpen bis in die Schweiz gefahren wurden. Es spricht für den Sportsgeist und das Traditionsbewusstsein der Mailänder Carrozzeria Touring, das sie den Star ihres diesjährigen Salonstandes nicht wie heute üblich im klimatisierten Transporter durch den Mont-Blanc-Tunnel schickten, sondern sich Designchef Louis de Fabribeckers persönlich hinters Steuer setzte, um das erste und bisher einzige Sciàdipersia Cabriolet nach Genf zu pilotieren. Und zwar entlang einer der schönsten Routen der Alpen, über den 2.469 Meter hohen Grossen St. Bernhard Pass, der das Wallis mit dem Piemont verbindet – und den einst schon die Römer mit ihren Streitwagen nutzten, um das keltische Genf einzunehmen. Chefdesigner großer Konzerne können von solchen Jungfernfahrten im selbstgestalteten Grand Tourer freilich nur träumen. 

Geschichtsbewusstsein zeigt die Carrozzeria Touring freilich auch mit dem Namen ihrer eigenwilligen Variation des Maserati GranCabrio. Wie schon das 2018 in Genf vorgestellte Coupé erinnert auch das Cabriolet an jene drei Maserati 5000 GT, welche die Karosseriemanufaktur im Jahr 1958 für Mohammad Reza Pahlavi, dem unermesslich reichen Schah von Persien, nach dessen Wünschen auf Maß einkleidete. Unter der ungewöhnlichen Hülle stecke damals der 5,0-Liter-V8 aus Maseratis ausgedientem Rennsportmodell 450 S und das Chassis eines Maserati 3500 GT. Und wie das historische Vorbild soll auch das neue, in Mailand von Hand gefertigte Sciàdipersia Cabriolet jene große Reisekultur ermöglichen, die man in der modernen Welt nur noch selten finden kann. „Wie man im Orient-Express aus dem Fenster schaut und die atemberaubende Landschaft an sich vorüberziehen sieht, so soll auch der Sciàdipersia seinen Insassen eine genussvolle Reise bereiten,“ verriert uns Louis de Fabribeckers im letzten Jahr in Genf mit Blick auf das Coupe. „Das Cabriolet evoziert dagegen die Vorstellung des italienischenDolce Vita“, sagt der Designer nun. „Es ist ein elegantes Auto für romantische Reisen, man kann sich darin von seiner Fantasie leiten lassen.“ 

Insgesamt sollen 15 Exemplare des königlichen Reisewagens als Coupé und Cabriolet entstehen. Als Kunden spricht die Carrozzeria Touring jene solventen und sendungsbewussten Menschen an, die ihre Individualität nicht mit einem Automobil von der Stange belasten wollen.  Dass nicht nur kleine italienische Traditionsfirmen wie Touring, sondern auch die großen Luxusmarken wie Ferrari, Bugatti oder Lamborghini ihre Showcars in sündhaft teuren Kleinserien fertigen, bestätigt die weltweit steigende Nachfrage nach ungewöhnlichen automobilen Sammlerstücken. Aber ist ein Cabriolet wirklich immer der logische nächste Schritt, der auf ein Coupé folgen muss? 

„Wenn mir mit der Arbeit an einem neuen Auto beginnen, denken wir automatisch über verschiedene Konfigurationen nach“, erklärt de Fabribeckers. „Für einen Designer liegt das auf der Hand.“ Dennoch war die Transformation kein Kinderspiel. „Wir achten immer besonders auf die Proportionen – wir verkaufen schließlich Maßanzüge für Autos und diese Anzüge müssen perfekt sitzen. Über einzelne Linien kann man sich immer streiten, aber Proportionen sind etwas Universales, da gibt es nur Richtig oder Falsch.“ Beim Sciàdipersia Coupé hatte das Designteam sich auf das Zusammenspiel der pfeilförmigen Front, dem langen Überhang am Heck und dem leichten Greenhouse konzentriert. Für das Cabriolet mussten die Proportionen deshalb komplett neu hinterfragt werden, um weiterhin stimmig zu erscheinen. „In diesem Fall genügten glücklicherweise einige subtile Änderungen, die eine große Wirkung hatten – vor allem die neu gezogene Gürtellinie gibt dem Wagen mit offenem Verdeck eine fließende, harmonische Silhouette. Das Cabriolet wirkt sogar etwas sportlicher als das Coupé.“

Im Vergleich zum Maserati GranCabrio, auf dem der offene Sciàdipersia basiert, wirkt Tourings Entwurf gleichzeitig zeitloser und dramatischer. Die verschachtelten Stilelemente der Front und das geometrische Kamm-Heck setzen den Wagen visuell deutlich von seiner Basis ab. Im Innenraum, der über vier vollwertige Sitze verfügt, ist der Charakter des Maseratis derweil erhalten geblieben – Touring hat dem Cabriolet durch schokoladen- und cremefarbenes Leder und orangefarbene Steppnähte jedoch eine eigene, lombardisch-elegante Note verliehen. Zum klassischen GT-Charakter passt freilich auch der – in Zeiten von Zwangsbeatmung, Downsizing und Hybrid-Elektrifizierung herrlich altmodisch blubbernde – V8-Saugmotor, der aus fünf Litern Hubraum 460 PS generiert und das Cabriolet theoretisch bis auf 288 km/h beschleunigt. Theoretisch, weil der offene Tourer sich vielmehr dazu eignet, mit lässigem Vorwärtsdrang über schöne Alpenstraßen zu gleiten, als auf der Linken Spur das Gaspedal in den Teppich zu pressen. 

„Die Fahrt über die Alpen war großartig“, freut sich auch ein sichtlich entspannter Louis de Fabribeckers nach seiner Ankunft in Genf. „Das Coupé fährt sich bereits sehr angenehm und man hat ein wunderbar großzügiges Raumgefühl. Im Cabriolet ist das Reisen noch ein wenig romantischer, leichtfüssiger, einfacher. Beim Blick in den Rückspiegel fiel mir irgendwann auf, dass ich durchgehend lächelte.“ Was kann man sich von einem Automobil Schöneres wünschen?