Sollten Sie an diesem Wochenende unter den Besuchern des Pebble Beach Concours sein, würden wir darauf wetten, dass Sie einen großen Teil Ihrer Zeit damit verbringen werden, diesen extrem seltenen Talbot Lago T150-C-SS zu bestaunen. Und wenn sein Aussehen noch heute jeden Betrachter in seinen Bann zieht, dann stellen Sie sich vor, wie spacig seine einzigartige Stromlinien-Karosserie von Figoni & Falaschi erst gewirkt haben muss, als der Wagen vor nicht weniger als 85 Jahren erstmals über die Boulevards von Paris fuhr.
Das ‚goutte d’eau’ oder ‚teardrop‘ (zu Deutsch: Regentropfen) Thema war das Produkt aus der engen Kommunikation zwischen dem Designer Joseph Figoni (1894-1978) und dem für das Fahrwerk zuständigen Antony Lago (1893-1960). Der gebürtige Italiener hatte 1934 den französischen Teil von Talbot Automobiles vom zahlungsunfähigen Sunbeam-Talbot-Darracq-Konzern zusammen mit dessen Werk Suresnes übernommen und die neue, sehr sportlich orientierte Marke Talbot-Lago gegründet. Zusammen mit Chefingenieur Walter Brecchia war er für die Motoren und die Fahrgestell zuständig, während die Aufträge für die Karosserien an spezialisierte Karosseriebauer gingen.
Inspiriert wurden Figoni und Lago von den automobilen Illustrationen von Georges Hamel (aka Geo Ham), die perfekt die mit den 1930er-Jahren verbundene neue Ära aus Geschwindigkeit und stromlinienförmigen Körpern widergaben. Figoni zeichnete extravagante vordere und hintere Kotflügel, die fließend und nahtlos ineinander übergingen und das „Sweepspear“-Design begründeten. Zugunsten einer optimalen Aerodynamik wurden die Hinterräder (bei anderen Modellen zusätzlich die Vorderräder) mit „pontoon fenders“ oder „spats“ abgedeckt sowie Scheinwerfer und Türgriffe bündig mit der Karosserie eingesetzt, sodass nichts den Luftstrom stören konnte. Insgesamt entstanden 14 Teardrops; es gab zwei Baureihen: Jeancart und New York. Chassis 901105, unser Fotoauto, ist ein „New York“-Modell, weil es im Design dem erstmals 1938 auf der dortigen Auto Show auf Basis von Chassis 90103 gezeigten Modell entspricht. Anders als die Jancart-Modelle mit ihrem deutlich längeren hinteren Überhang wirken die New York-Modelle dank ihres Fastbacks kompakter und noch mehr wie aus einem Guss.
Ein solcher Talbot-Lago war weder für schüchterne, zurückhaltende Typen noch für mittellose Menschen gedacht. Sondern vielmehr für wohlhabende Wüstlinge und reiche Gauner – alles Beschreibungen, die perfekt auf den ersten Besitzer von Chassis 90105, den australischen Playboy und Erbinnenjäger Freddie McEvoy, zutreffen. „Suicide Freddie“ – wie er aufgrund seiner halsbrecherischer Fahrten als Mitglied des britischen Olympia-Bobteams bei den Winterspielen 1936 in Garmisch-Partenkirchen genannt wurde – hatte dort als erster Australier eine olympische Medaille (Bronze) geholt. Auch als Rennfahrer (auf Maserati) hatte er Erfolge und als enger Freund von Erroll Flynn trat er sogar in Nebenrollen in zwei Filmen auf. Gerade einmal 30 Jahre alt, übernahm er den Talbot-Lago, während er in Paris lebte und zwischen der Riviera im Sommer und St. Moritz im Winter pendelte. Im Rahmen einer Wette, die er auch gewann, legte er in einem solchen Modell die Strecke Paris-Cannes in 9 Stunden und 45 Minuten zurück. Mit einem klugen Geschäftssinn in Kombination mit einem großen Netzwerk, sportlichem Ruhm und Beatrice Cartwright, seiner, äh, 60-jährigen „Freundin“ (und späteren Kurzzeit-Ehefrau) ausgestattet, war Geld für den Abenteurer und Draufgänger McEvoy kein Thema.
Seine Bekanntschaft mit dem amerikanischen Talbot-Importeur Luigi Chinetti war mitverantwortlich dafür, dass über Chinetti Chassis 90105 im Jahr 1939 bei seinem nächsten Playboy-Besitzer, Tommy Lee, in Kalifornien landete. Lee war auch vom spektakulären Aussehen des Wagens angetan, wusste aber auch die Tatsache zu schätzen, dass es hier keineswegs um ein Beispiel für „Style over Substance“ ging.
Denn das „SS“ in der Typenbezeichnung stand für „Super Sports“, ein gerechtfertigtes Label, dank der Kombination aus einem Vierliter-Sechszylinder und einem verkürzten und leichteren T150C-Chassis. Mit 140 PS und im Vergleich zu einem Serienmodell 130 Kilo weniger Gewicht gab es wenig sonst am Markt, dass es mit dem Teardrop hätte aufnehmen können. Das wusste auch Tommy Lee, der mit seinen Talbot-Lagos (er besaß mehrere) regelmäßig auf ausgetrockneten Seen im Osten von L.A. auftauchte, um dort Hot Rods und andere heiße Geräte zu Beschleunigungsduellen herauszufordern.
Nach dem Selbstmord Lees am 13. Januar 1950 ging seine illustre Autosammlung, zu der neben vielen Alfa Romeo und Bugatti auch der erste in die USA importierte Ferrari, eine 166 Barchetta von 1948 gehörte, an Roger Barlows International Motors in Los Angeles. Von dort gelangte 901105 beim bekannten Industriedesigner Brooks Stevens. Der hatte die französische Schönheit vor einem Restaurant in Milwaukee parken gesehen und war auf Anhieb verzückt. Beim Mittagessen überredete er den Besitzer zum Verkauf. Als Schöpfer von allem – von der Harley-Davidson Hydra Glide bis zum Jeep Wagoneer, vom Miller Brewing-Logo bis zu den „Skytop Lounges“ für Personenzüge oder der Mercedes SSK-Replica Excalibur bis zum Facelift des VW 412 – erkannte Stevens eine gute Form auf den ersten Blick. Und so wurde der Teardrop schnell zu einem Star seiner wachsenden Automobil-Sammlung in Mequon (Wisconsin).
Als leidenschaftlicher Motorsportfan nannte Stevens das Auto gelegentlich zu Rennen in Elkhart Lake (Wisconsin), doch beschränkte er ab Anfang der 1950er-Jahre aus Sorge vor Beschädigungen die Ausflüge auf gelegentliche Concours-Auftritte und Fahrten auf öffentlichen Straßen. Dank dieser behutsamen Behandlung darf Chassis 901105 heute als der vielleicht authentischste und besterhaltene unter allen noch existierenden Talbot-Lago Teardrops gelten.
Heute glänzt das im schönsten Art Déco-Stil gestaltete Stromlinienmodell wieder in seiner ursprünglichen, bei Figoni & Falaschi aufgetragenen Originalfarbe Blau. Nachdem während seiner Zeit im Besitz von Stevens ein übereifriger Kurator, sehr zum Missfallen des Besitzers, den Wagen kurzerhand in Burgundy Red umlackiert hatte.
Ansonsten präsentiert sich die „Faux Cabriolet“-Karosserie wie neu, auch Motor, Getriebe und Achsen tragen matching numbers. Sogar die einzigartigen, mit einem Drehschalter zwecks Ventilation zu öffnenden Windschutzscheiben (ein Figoni-Patent) sind noch in perfektem Zustand. Ebenso originalgetreu zeigt sich auch – bis in den Kofferraum – der sehr detailgetreue Innenraum.
Die Tatsache, dass Stevens den Wagen mehr als 40 Jahre lang besaß, erklärt seinen bemerkenswert guten Erhaltungszustand. Seit seinem Tod im Jahr 1995 gehörte er nur drei weiteren und ebenso anspruchsvollen Besitzern, die alle dafür gesorgt haben, dass er heute der „Karosserie-korrekteste“ Teardrop ist, den es gibt. Sicherlich wird es viele bemerkenswerte und begehrenswerte Autos geben, die an diesem Wochenende die Fairways von Pebble Beach zieren, aber nur wenige werden diesem Talbot-Lago in punkto Aussehen und Originalität das Wasser reichen können. Und sei es auch nur wegen seiner platinbeschichteten Playboy-Herkunft.
Fotos: Rémi Dargegen für Classic Driver © 2022