Children of the Sea
Als 24-jähriger Rockstar wusste Tony Iommi seine Prioritäten durchaus klar zu setzen. Im Jahr 1972, als er noch bei seinen Eltern in Birmingham wohnte, hatte er bereits zwei Lamborghini besessen. 2011 berichtete er über diese Zeit in seiner Autobiographie Iron Man: „Die ersten Schecks, die eintrafen, wurden immer sofort in Angeberautos umgetauscht.“ Seine ebenso autoverrückten Bandkollegen zu übertreffen schien Iommi wichtiger, als seine Wohnsituation zu verändern. Und so investierte er die Erlöse aus den ersten beiden Alben von Black Sabbath eben in das neueste und schnellste Modell aus Sant’ Agata Bolognese, den Lamborghini Miura SV.
Neon Knights
Beide Alben, die mehrfach Platin einspielten, wurden in den berühmten Regent Sound Studios in der Londoner Denmark Street eingespielt. Heute befindet sich in dem Gebäude ein Gitarrengeschäft, dessen Besitzer sich bemüht, das musikalische Erbe der Straße am Leben zu erhalten – für unsere Tour auf den Spuren von Black Sabbath durchs nächtliche London ein guter erster Anlaufpunkt. Vom rauen Motorengebrüll des hellblauen Lamborghini Miura sichtlich elektrisiert, eilt uns der Gitarrenhändler bereits entgegen. In den Händen hält er eine Fender Stratocaster aus den späten 1960er Jahren – Iommis andere Waffe, wenn er gerade einmal auf der Bühne stand und nicht hinter dem Steuer seines Sportwagens saß.
Mob Rules
„Als der Händler mir berichtete, dass Lamborghini den neuen Miura SV herausbringen würde, ließ er auch ganz beiläufig fallen, dass für den britischen Markt nur sieben Exemplare entstehen sollten“, berichtet uns Tony Iommi in einem Backstagebereich während der Abschiedstour von Black Sabbath mit dem bezeichnenden Namen „The End“. Vielleicht waren es seine italienischen Wurzeln – die Familie hatte einst im Weinbau gearbeitet –, die Iommi für die italienischen Sportwagen empfängliche machten. Doch auch der rebellische Geist von Ferruccio Lamborghini begeisterte ihn. „Ich und er hatten einmal ein längeres Gespräch über die Ausstattung meines Miura. Ich besitze auch noch einen Brief von ihm, den ich mittlerweile habe Rahmen lassen. Wir waren locker brefreundet, würde ich sagen – er mochte unsere Musik, und ich mochte seine Autos!“
Electric funeral
Nur zwei Exemplare des SV wurden im hellblauen Bertone-Farbton „Azzurro Cielo“ lackiert – entsprechend war Iommis Lamborghini ein echter Hingucker. „Nachdem ich die Bestellung abgeschickt hatte, doch bevor ich den Miura abholen konnte, wurde ich gefragt, ob das Auto auf der Birmingham Motor Show gezeigt werden durfte,“ erinnert sich der Gitarrist. „Ich stimmte zu und holte ihn schließlich von dort ab – direkt vom Stand, umringt von Zuschauern und Autoverrückten. Schon nach den ersten 24 Stunden explodierte die Klimaanlage sprichwörtlich während der Fahrt – ich bekam den Schreck meines Lebens! Zuerst dachte ich, der ganze Wagen brennt. Doch wie sich herausstellte, war es nur die Belüftung. Ich hatte eine echte Hassliebe mit dem Miura, denn ständig war etwas kaputt. So war das zu dieser Zeit wohl mit jedem neuen Modell.“
Behind the Wall of Sleep
„Der Miura war damals schon ein echter Hingucker. Es gab schließlich kaum ein Auto, das nur annähernd so schnell war und so gut aussah“, lacht Iommi, während wir uns ausmalen, was wohl die Nachbarn sagten, als Tony den Lamborghini vor dem Haus seiner Eltern in einem Vorort von Birmingham parkte. Schließlich war der Sportwagen fünfmal so teuer wie das wertvollste Haus in der Straße. Für die Aufnahmen zu „Sabbath Bloody Sabbath“ mietete die Band ein neugotisches Schloss, um in den Kellergewölben standesgemäß zu üben. „Ich war in der Nachbarschaft meiner Eltern nicht unbedingt beliebt“, erinnert sich Iommi. „Oft kam ich erst spät von den Aufnahmen zurück und der Miura machte einen Höllenlärm.“
The Wizard of the West End
Gute vier Jahrzehnte später wird der Heavy-Metal-Miura schon deutlich freundlicher empfangen – im Londoner West End, wo in den Sommermonaten mehr moderne Supersportwagen als Black Cabs unterwegs sind, sammelt der italienische Klassiker durchaus Sympathiepunkte. Sogar ohne einen Rockstar am Steuer wird uns hinterhergewunken und auch die Kofferträger des ehrwürdigen Dorchester räumen schnell die Hotelauffahrt für uns.
Never Say Die
In den späten 1970er Jahren trennte sich Iommi schließlich von seinem Miura – doch für den Sportwagen waren die Jahre des Rock’n’Roll noch nicht vorbei. Der neue Besitzer, ein schottischer Kartoffelfarmer, besaß neben dem Lamborghini schließlich noch einen Ferrari Daytona, einen 250 SWB und einen Helikopter. In die „Diskographie der Vorbesitzer“ sollte sich später auch der Virgin-Records-Boss und Aston-Martin-Sammler Simon Draper einreihen. „Ich freue mich, dass sich der Miura noch in so wunderbarem Zustand befindet“, sagt Iommi schließlich und wünscht dem neuen Besitzer „zahlreiche Erinnerungen für die Ewigkeit.“ Ob der Miura selbst nach seinen sieben Jahren mit Black Sabbath nochmals ernsthaft beeindruckt werden kann, ist derweil fraglich. Und auch wenn er über die wildesten Abenteuer dieser Zeit für immer schweigen wird, so ist dem Echo seines Zwölfzylinder-Solos in den dunklen Straßen von London doch zumindest ein Platz in der automobilen Musikgeschichte sicher.
Photos: Alex Lawrence / The White Wall for Classic Driver 2016 / Getty Images