Es war das Jahr 1974, Giorgetto Giugiaro hatte für Maserati gerade die Sportwagen Ghibli, Bora und Merak gezeichnet – und blickte nun einer neuen Herausforderung entgegen: Ebenfalls für Maserati sollte der Designer ein viertüriges Modell entwerfen, das den Komfort einer amerikanischen Limousine mit dem Leistungsvermögen verband, das der gerade erschienene Maserati Quattroporte II mit seinem 207 PS starken V6 so vermissen ließ. Der Anspruch des Projekts spiegelte sich auch im Namen „Medici“ wieder, den Giugiaro für die Konzeptstudie gewählt hatte und der sich auf die berühmte Familiendynastie bezog, die mit ihrem Geld und Kunstverstand das Florenz des 15. und 16. Jahrhundert dominierte.
Als Basis für den Medici diente ein bereits existierendes Maserati-Chassis, für den sportlichen Vortrieb sorgte ein längs eingebauter 5,0-Liter-V8-Motor. Im Innenraum fanden bis zu sechs Familienmitglieder Platz – im mit Velours ausgeschlagenen Fond saßen sich vier Personen gegenüber. Bei der Gestaltung einer ausgewogenen und eleganten Karosserieform hatte sich Giugiaro auch von seinen vorangegangenen Arbeiten inspirieren lassen – Vorbild war etwa die Konzeptstudie Audi Asso Di Picche, deren Formensprache sich später auch im Audi B2 Coupé wiederfand.
Im Herbst 1974 debütierte der Maserati Medici auf dem Turiner Salon – doch das erste Ergebnis konnte noch nicht überzeugen. Im Zusammenspiel mit der langen und geraden Dachlinie wirkte die keilförmige Motorhaube mit ihren versenkbaren Schweinwerfern einfach zu aerodynamisch. Für Giorgetto Giugiaro, dessen Catalogue Raisonée bereits Meisterstücke wie den De Tomaso Mangusta, den Iso Grifo und den BMW M1 unfasste, war die Studie überraschend schlecht proportioniert. Im Rückblick bezeichnete der Gründer von Italdesign den Medici selbst als stilistischen Ausrutscher. Doch neben Selbstkritik zeichnen sich geniale Entwickler oft auch durch Hartnäckigkeit aus – und so machte sich Giugiaro an die Arbeit, die Fehler des ersten Entwurfs mit einem Redesign zu beheben. Der Prototyp wurde zurück ins Studio gebracht, um die Proportionen der Karosserie neu auszutarieren.
Während der hintere Teil der Silhouette mit dem coupéhaften Heck beibehalten wurde, erhielt die Front einen umfassenden „Face Job“, in dem die Motorhaube angehoben wurde, um besser mit der waagrecht-geometrischen Lininführung des Karosseriekörpers zu harmonieren. Statt der „Schlagaugen“ erhielt der Medici II konventionelle, rechteckige Scheinwerfer sowie einen klassischen Kühlergrill. Mit dem neuen Look verabschiedete sich Giugiaro zwar von dem einst angestrebten Sportwagen-Look, doch als Konzept wirkte die Limousine nun deutlich gefälliger.
Auch im Innenraum hielt nun die Realität Einzug: Die rückwärts gewandten Sessel im Fond wurden gestrichen, dafür konnten die Reisenden jetzt auf eine gekühlte Minibar und einen Aktenschrank zugreifen. Anstelle der durchgehenden Rückbank wurden zudem zwei Clubsessel installiert, statt Verlour kamen klassisches Glattleder und Edelholz zum Einsatz, dem futuristischen Anspruch der Studie genügten ein Fernseher und ein Funktelefon. Nachdem die erste Medici-Generation in Turin kaum Anklang gefunden hatte, wurde der Nachfolger im Herbst 1976 auf dem Pariser Salon mit Beifall begrüßt. Nach dem Show-Debüt wanderte der Maserati Medici II in die Sammlung des niederländischen Louwman Museums, wo er noch heute bewundert werden kann. Stilistisch beeinflusste der Viertürer derweil das 1977 in Turin vorgestellte Maserati Quattroporte III Concept sowie die nachfolgende Serienversion, die als erster erfolgreicher „Maserati für Geschäftsleute“ und Dienstwagen des italienischen Staatspräsidenten Alessandro Pertini in die Markengeschichte einging.
Trotz des etwas holprigen Starts von 1974 ist der Maserati Medici heute ein interessante Studienobjekt, das dem Betrachter sehr viel über die Arbeitsprozesse im italienischen Designbetrieb der Siebzigerjahre verraten kann. Zudem ist das Showcar nicht nur ein wichtiger Vorfahre aller modernen Quattroporte bis zum neuen Modell, das 2012 vorgestellt werden soll, sondern auch ein frühes Exemplar der Spezies „Viertüriges Coupé“, die heute in Form von Aston Martin Rapide, Porsche Panamera und Mercedes-Benz CLS große Erfolge feiert. Dem 1999 zum Automobildesigner des Jahrhunderts gekrönten Giorgetto Giugiaro sei allein für diese Pionierleistung ein goldener Ruhestand gegönnt. Ob er dieses Angebot annehmen würde, steht auf einem anderen Blatt.
Fotos: Rainer Schlegelmilch