Der C52 erreichte Alfa in einer schwierigen Zeit. Zwar hatte die Marke aus Arese 1951 die Formel-1-Weltmeisterschaft für sich entscheiden können, doch die finanziellen Engpässe der Nachkriegszeit zwangen Alfa dazu, sich aus dem Rennsport zurück zu ziehen und dafür dem gewinnversprechenden 1900 Berlina zu widmen. Die Rennabteilung wurde derweil mit dem Auftrag vertröstet, einen Rennwagen für die Saison 1952 zu entwickeln, der in Le Mans und bei der Mille Miglia von privaten Teams und als Imageträger für Alfa eingesetzt werden sollte. Als Basis für das intern C52 genannte Projekt diente der Alfa 1900. Der 1,9 Liter große Vierzylinder-Stahlmotor diente als Vorbild für ein Aluminium-Aggregat mit größerer Bohrung. Der neue Motor verfügte über 1997 ccm Hubraum, leistete 158 PS und wurde von den Ingenieuren in das Rohrrahmen-Chassis des 1900 eingefügt. Das Gesamtgewicht lag bei 735 Kilogramm, was dem Wagen später eine eindrucksvolle Höchstgeschwindigkeit von 225 km/h ermöglichte.
Doch ganz offensichtlich war es vor allem die Karosserie, die dem C52 seine Loorbeeren einbrachte. Entworfen und gebaut wurde die Hülle in der benachbarten Carrozzeria Touring. Die kurvenreiche, im Windkanal entwickelte Karosserieoberfläche sorgte nicht nur für einen revolutionär niedrigen Luftwiderstand (mit einem CW-Wert von 0,25 war der Alfa stromlinienförmiger als etwa das sportliche, für 2012 angekündogte Tesla Model S), sie war auch der Grund für den Spitznamen „Disco Volante“ – Italienisch für „Fliegende Untertasse“. Der inoffizielle Name setzte sich durch, schließlich begeisterte man sich in den 1950er Jahren auch jenseits der USA für Raumfahrt, Außerirdische und unbekannte Flugobjekte. Der C52 entsprach seiner Bezeichnung jedoch noch auf einer weiteren Ebene: Wer in dem winzigen Cockpit mit seinem riesigen getriebetunnel eine zumindest halbwegs erträgliche Sitzposition finden wollte, musste über extraterrestrische Proportionen verfügen.
Das Publikum störte dies nicht – es war der Disco Volante mit ihrer Stromlinien-Silhouette vom ersten Augenblick an verfallen. Auch innerhalb der Industrie wurde der neue Alfa-Rennwagen mit offenen Armen empfangen. Dass sich die Entwickler des Jaguar E-Type, mit dem der Alfa oftmals verwechselt wurde, vom UFO aus Arese inspirieren ließen, ist mittlerweile ein offenes Geheimnis. Vor allem in der Seitenansicht fällt auf, wie sehr sich die beiden Sportwagen ähneln – auch wenn der Alfa einen guten halben Meter kürzer ausfiel als sein britisches Pendent. Der Einfluss der Disco Volante endete jedoch nicht mit den Fünfzigerjahren – 2010 wurde in Mailand eine Bronzestatue des C52 zum 100. Geburtstag von Alfa enthüllt, und auch der in Genf präsentierte Pininfarina 2ettottanta nahm klaren Bezug auf den sinnlichen Klassiker.
Zunächst bedienten sich die Alfa-Entwickler jedoch selbst – und zeigten 1952 mit dem Alfa Romeo 6C 3000 Competizione Maggiorato eine Variation des selben Design-Themas. Dass der Sieg des 6C bei der Gran Premio Supercortemaggiore im Jahr 1953 oftmals versehentlich der Disco Volante zugeschrieben wurde, könnte man wohl ausgleichende Gerechtigkeit nennen. Konfusionen gab es auch bei der Bezifferung der genauen Anzahl gebauter Disco Volante – die glaubwürdigste Quelle ist wohl der inzwischen verstorbene Chefdesigner des Projekts, Carlo Felice Bianchi Anderloni. Anderloni erinnerte sich, dass nicht mehr als vier oder fünf Exemplare gebaut wurden, drei Spider mit dem Zwei-Liter-Vierzylinder-Motor und ein oder zwei weitere Spider mit dem 3,0-Liter-Sechszylinder-Motor aus dem 6C 3000, von denen jedoch eines wieder auseinander genommen wurde.
Eine der Zwei-Liter-Versionen wurde später zum Coupé umgebaut – sie ist heute neben einem unmodifizierten Spider im Museo Historico Alfa Romeo in Varese zu sehen (das jedoch momentan wegen Umbaus geschlossen ist). Das dritte Exemplar war mit einer etwas konventionelleren Karosserievariante ausgestattet und auf den Namen „Fianchi Stretti“ getauft worden – zu Deutsch „Schmale Hüfte“. Die schlanke Disco Volante ist Teil der famosen Schlumpf-Sammlung in der Cité de l’Automobile im Elsaß, während das verbleibende Drei-Liter-Modell im Museo Dell’Automobile in Italien bewundert werden kann.
Während man also nicht wirklich von einer, sondern von vier Disco Volante sprechen muss, ist das Modell doch sicherlich eine der großen Design-Ikonen der Alfa-Geschichte. Zwar war der Wagen mit kleinem Budget und auf Komponenten bestehender Modelle entstanden und konnte auch keine Rennsport-Erfolge vorweisen – doch hätte Alfa dem Projekt etwas mehr Enthusiasmus entgegen gebracht und eine Produktion gestartet, der E-Type müsste sich seinen Status als vielleicht schönster Sportwagen aller Zeiten mit einer Untertasse aus Arese teilen.
Photos: © Alfa Romeo Automobilismo Storico, Centro Documentazione (Arese, Milano)