Kleine Überraschung
Die unscheinbare Tiefgarage in der ruhigen Schweizer Stadt Solothurn birgt eine große Überraschung, denn hier residiert eine weltweit überwältigende Sammlung von Carlo Abarths kleinen aber teuflischen Autos. Engelbert Möll, ehemaliger Werksrennfahrer bei Abarth, hat im Lauf der letzten 45 Jahre über 40 unterschiedliche Fahrzeuge der Marke mit dem Skorpion zusammengetragen und sein Augenmerk auch auf wunderbare Sammelobjekte, Motoren und Komponenten gelegt. Jetzt werden zwanzig Autos dieser Kollektion auf ihren Auftritt in Paris vorbereitet, wo ihnen im Rahmen einer Ausstellung bei der Rétromobile zu diesem faszinierenden Hersteller und erfindungsreichen Gründer eine große Bühne bereitet wird.
Generationenwechsel
Wie ein Phönix, der sich aus der Asche der 1949 untergegangenen Marke Cisistalia erhob, wurde Carlo Abarths gleichnamige Firma gegründet, um Serienfahrzeuge wie den Alleskönner Fiat 500 für den Motorsport zu optimieren. Und dieses Ziel wurde auf beeindruckende Weise im Lauf von zwanzig Jahren mit Tausenden von Siegen und etlichen Geschwindigkeitsrekorden erreicht. Mehr noch: Eine ganze Generation von Enthusiasten verlieh ihren Alltagsautos diesen sportlichen Stachel. Diese Erfolgsgeschichte belegt Carlo Abarths glühende Leidenschaft und seinen Siegeswillen in einer Epoche, welche diesem Unternehmen auch eine solche Entwicklung ermöglichte.
Ungebrochen und unbeirrt
Engelbert Möll kannte Abarths Persönlichkeit nur allzu gut. Eine zufällige Begegnung mit dem Abarth-Rennfahrer Tommy Spychiger führte dazu, dass aus dem jungen Schweizer ein richtiger Werksfahrer wurde. Es war zwar kein geradliniges Projekt, denn Carlo Abarth war bekanntermaßen sprunghaft und kompliziert, aber er konnte trotzdem eine Reihe von Klassensiegen für sich verbuchen. Im Jahr 1963 sollte Mölls Fahrerkarriere nach einem schweren Unfall mit seinem Abarth-Simca beim Stuttgarter Solitude-Rennen jäh beendet werden. Einige Zeit später, als er einen Abarth-Simca als Souvenir suchte, akzeptierte Möll – zu diesem Zeitpunkt Opelhändler in der Schweiz – einen seltenen Abarth 1000 GT Bialbero mit langer Nase und toller Motorsporthistorie als Teilzahlung für eine anderes Auto. So begann eine lange und reichhaltige Reise, während der Möll an jedem Wochenende unterwegs war, um nach ehemaligen Abarth-Rennwagen zu fahnden und sie vor dem Vergessen zu retten. Jetzt, 40 Autos später, ist die Sammlung Möll unvergleichlich. Wenn man das Glück hat, diese vielfältige Kollektion kleiner Wunder zu betrachten, versteht man auch sofort, weshalb.
„König der kleinen Autos”
Was hat Möll bewegt, diese wunderbare Sammlung zusammenzutragen? „Als „König der Kleinwagen” war Carlo Abarth ein Visionär mit großen Ideen”, erzählt er. „Er wird bis heute so bewundert, weil er neben den sonderangefertigten Serienmodellen auch Rennwagen für alle FIA-Kategorien von Touren- über Rallyeautos bis hin zu GT-Modellen und Prototypen fertigte.” Das sollte auch Lorenzo Avidano, Abarths rechte Hand, Jahre später über die Maschinen seines früheren Chefs sagen: „Mit diesen Autos wurden an jedem Sonntag im Jahr in unterschiedlichsten Kategorien und Klassen Rennen gefahren und gewonnen.”
Die umfassende Sammlung belegt dieses Vielfalt und den sportlichen Erfolg. Hier ist wirklich alles aufgeboten – vom brennend heißen kleinen Fiat-Abarth 1000 TCR von 1968 und dem 750 Bialbero Record Monza von Zagato aus dem Jahr 1959 bis hin zu den rassigen OT 2000 Periscopios und den hübschen offenen Sportprototypen wie dem 2000 Sport 4-Fari. Ein wenig ungewöhnlicher aber nicht weniger begehrenswert ist der von Pininfarina entworfene Abarth 500 Rekordwagen, der 2000 Monoposto World Rekord, und Carlo Abarths persönlicher 2400 Allemano. „Immer noch ein sehr komfortabler Grand Tourer für lange Reisen”, findet Möll.
Die Qual der Wahl
Welche Autos zählen – abgesehen von seinem Rennwagen – zu Mölls persönlichen Favoriten? „Na ja, da sind natürlich einige dabei”, stellt er unumwunden fest. „Da ist 1000 Sport aus Aluminium, mit dem Tommy Spychiger 1963 ganze 13 Klassensiege erzielt, aber auch der Abarth-Simca 2 Mila ist in technischer Hinsicht etwas Besonderes, weil er ein Sechsganggetriebe besitzt.” Erfreulicherweise gehört auch unser Liebling zu Mölls Favoriten: der 2000 Sport 4-Fari. „Das war der vermutlich erfolgreichste Zweilitersportwagen mit über 40 Einheiten. Carlo Abarth hatte auch ein großartiges formales Empfinden.” Was Enthusiasten bezeugen können!
Anlässlich Carlo Abarths 110. Geburtstag wird die Pariser Klassikermesse Rétromobile in der nächsten Woche zwanzig Fahrzeuge aus der Möll Collection in einer Sonderausstellung zeigen, die den virtuosen Meistertuner würdigt. Francois Melcion, der Leiter der Rétromobile, hat mit uns zusammen die Sammlung in Solothurn besucht, die Rémi Dargegen mit wunderbaren Fotos in Szene gesetzt hat. Er ist stolz, Gastgeber dieser einmaligen Schau zu sein.
„Die besten Autos mit der besten Geschichte”
„Auf eine Art ist dies die Bardinon-Sammlung für Abarths”, findet Melcion. „Die besten Autos mit der besten Geschichte. Wir wollten sie auch herausstellen, weil sie mehr als „nur” eine Sammlung ist – es ist auch die Geschichte des wahrhaft leidenschaftlichen Mannes Engelbert Möll, der sein Leben trotz diesen tragischen Unfalls dieser Marke gewidmet hat. ” Der Anlass ist auch so bedeutend, weil erstmals eine so große Zahl an Autos aus der Sammlung die Schweiz verlassen wird. „Möll hat immer Autos an Freunde, Fahrer und ehemalige Abarthmechaniker für Veranstaltungen und historische Bergrennen ausgeliehen, aber noch nie vorher wurden zwanzig der wichtigsten Maschinen irgendwo anders ausgestellt”, erklärt Melcion. „Er ist keiner, der Autos sammelt und sie vor der Öffentlichkeit versteckt. Er möchte seine Leidenschaft mit anderen teilen und Menschen zeigen, worin Abarths Leistung besteht. Außerdem ist er ein wirklich netter Mann, sehr umgänglich – für ihn zählt ausschließlich die Passion. Wir von der Rétromobile wissen das sehr zu schätzen, den wir wollen etwas zeigen, dass man woanders nicht zu sehen bekommt.”
Vorsichtige Annäherung
So, wie diese Sammlung viel über Engelbert Möll verrät, erzählt sie auch von der Persönlichkeit Carlo Abarths, dessen Intelligenz, Ideenreichtum und Entschlossenheit ein Unternehmen geschaffen haben, dass ein bleibendes Vermächtnis hinterlässt. Aber eine Warnung sollte man Besuchern der Pariser Rétromobile in der nächsten Woche mit auf den Weg geben: Wenn Sie dieser unglaublichen Auswahl an Abarths begegnen, nähern Sie sich mit größter Vorsicht. Diese ungestümen kleinen Biester besitzen einen respekteinflößenden Stachel!
Fotos: Rémi Dargegen für Classic Driver © 2017