Die meisten Menschen, die ihre Autoklassiker regelmäßig nutzen, halten sie entweder in einem sehr guten, ursprünglichen Zustand oder geben Hunderttausende von Euro für Restaurierungen aus. Manchmal verbessern sie sie sogar subtil – was bei Puristen natürlich verpönt ist – durch den Einbau eines Synchrongetriebes, einer Servolenkung oder einer diskret versteckten Klimaanlage. Ganz anders Professor Claus Anderhalten. Er ist das, was man einen Megapuristen nennen würde.
Wir haben Claus bei einem Treffen des Flitzer Clubs in Berlin kennengelernt. Wie sich herausstellte, ist er der Gründer von Anderhalten Architekten, einem renommierten Büro, das sich auf die Restaurierung und Modernisierung historischer Gebäude spezialisiert hat. Man muss dazu sagen, dass Claus es ablehnt, allein auf diese Arbeiten reduziert zu werden, da er auch viele moderne Bauten geschaffen hat – wie zum Beispiel das lehmverkleidete Gebäude des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft in Berlin. Doch während er sich in seinem Berufsleben von den Prinzipien der Modernisierung, Restaurierung und Funktionsverbesserung bestehender Bauten leiten lässt, hat er beim Sammeln von Autos einen völlig konträren Ansatz gewählt.
Und da eine Sammlung von 25 Autos sehr schwer zu pflegen ist, verwundert es nicht, dass die meisten von Claus Autos nicht funktionieren. Einige von ihnen stehen sogar in Kisten. Andere könnte man fairerweise als Rostlauben bezeichnen – obwohl er einmal während eines Flitzer-Club-Treffens behauptete: „Rost ist gut“. Einer der beiden Maserati Ghibli, die er besitzt, wird derzeit einer leichten Restaurierung unterzogen, und drei bis vier Autos, wie sein Porsche 911 von 1964, sind – so der Besitzer – in einem „halbwegs fahrbereiten Zustand“.
Drei bis vier funktionierende Autos scheinen Claus zu genügen. So dass er davon ausgehen kann, dass sie es, egal für welche Strecke, auf jeden Fall bis ans Ziel schaffen werden. Eine Einstellung, die entweder zu Szenen führt, in denen prominente Flitzer-Clubmitglieder einem seiner Autos beherzt Anschiebehilfe geben müssen. Oder zu Nachtschichten für den ehrenamtlichen Flitzer-Mechaniker Andreas, der während der vielen Ausflüge des Clubs schonmal bis zum Morgengrauen durcharbeitet, während er versucht, einen per Express verschickten elektrischen Kühlerlüfter an Claus‘ Jaguar E-Type Mark I von 1962 zu montieren.
„Ich befand mich auf der Autobahn nahe des Bodensees und näherte mich der Schweizer Grenze, als ich sah, wie sich einige Teile von meinem Auto lösten“, schildert Claus den Vorfall. „Später stellte sich heraus, dass mein originaler, riemengetriebener Lüfter den Dienst quittiert hatte – und so musste eine schnelle Reparatur auf dem Hotelparkplatz in Zürich erfolgen. Gott sei Dank gibt es Express-Kurierdienste“, lacht er und tut so, als sei eigentlich ga rnichts passiert.
Wie fast zu erwarten, kämpfen wir ein wenig mit dem Mechanismus der herunterklappbaren Windschutzscheibe eines seiner fünf (!) Austin Healey 100/4 – desjenigen natürlich, der gerade noch funktioniert. Wir wollen zu einer Tour durch das erstaunliche Hansaviertel von Berlin aufbrechen, in dem Claus eines der Fallstudienhäuser besitzt. Von 1957 bis 1961 als soziales Wohnungsbauprojekt von internationalen Meisterarchitekten wie Alvar Aalto, Egon Eiermann, Walter Gropius, Oscar Niemeyer und Sep Ruf erbaut, wurde eines der kleinsten Viertel Berlins auf einem während des Zweiten Weltkriegs dem Erdboden gleichgemachten Gelände errichtet. Es ist eine architektonische Perle mit Straßen, die nach Hansestädten benannt sind. Und eine perfekte klassisch-moderne Landschaft für einen Professor dieser organisatorischen und raumgestaltenden Kunstdisziplin, der Architektur.
Doch bevor wir uns über die verschiedenen Sammler-Philosophien unterhalten können, werden wir von einem Amazon-Filmteam, das in den Straßen des fotogenen Viertels einen historischen Film dreht, zum Aufbruch aufgefordert. Wir fahren in einer Lärmwolke ab – Straight-Pipes am Austin! –, nur um am Rande des Viertels unter den markanten, von Paul G. R. Baumgarten entworfenen Maisonetten des Eternit-Hauses zu verschnaufen.
Claus schaltet sofort in den Professoren-Modus und weist auf die attraktiven verglasten Ateliers im obersten Stockwerk und die privaten Dachterrassen hin, die in Ermangelung von regulären Gärten platzsparend angelegt wurden. Aber ich will das Thema wieder auf Autos lenken. „Es ist ganz einfach“, sagt er, „ich interessiere mich nur für die allerersten Fahrgestellnummern, weil sie die reinste Vorstellung davon vermitteln, was ein bestimmtes Modell verkörpern sollte. Sie kommen den ursprünglichen Absichten ihrer Schöpfer am nächsten. Selbst wenn sie von Haus aus fehlerbehaftet sind. Wenn das Auto im Laufe der Zeit verbessert wird, hört es für mich auf, interessant zu sein“, bemerkt er.
Wir springen wieder in den Healey – im wahrsten Sinne des Wortes, denn meine Tür lässt sich nur manchmal öffnen – und fahren zu Claus‘ streng geheimem Lager, einer Garage irgendwo in Kreuzberg, um schnell auf einen seiner beiden E-Types umzusteigen. Wie sich herausstellt, liegt der Austin zu niedrig, um die Rampen zur Garage hinaufzufahren, und so setzen wir am Boden auf. Seine schnelle Lösung? Er nimmt einen stark rauchenden Triumph TR5 mit auf die Rampe, weil das besser ist als zu Fuß zu gehen, schiebt den Healey dorthin, wo der Triumph gestanden hatte, und tauscht dann den „Fünfer“ gegen den Jaguar aus. Ganz einfach.
Diese komplizierte Operation erlaubt mir einen Blick auf einen kleinen Teil der Sammlung des „verrückten Professors“. Einer der beiden Fiat Dino, ein rotes Coupé, lächelt mich an, während der andere unter vielen mit Autoteilen gefüllten Kisten verschwindet. Ein Maserati Khamsin-Motor liegt auf dem Boden, gleich neben einem Lancia Flaminia GT, der vielleicht von einer italienischen Berühmtheit gefahren wurde, was Claus dazu veranlasste, ihn zu kaufen, während er nach Teilen für einen seiner sieben Maserati suchte – darunter zwei Ghibli, ein Khamsin, zwei 3500 GT und ein Mistral. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs.
Ich persönlich finde es erstaunlich, dass Claus in einer Situation völlig entspannt zu sein scheint, die bei mir ein Maß an Angst auslösen würde, das mich für den Rest meines Lebens ans Bett fesseln würde. Tatsache ist, dass alle diese Autos, egal in welchem Zustand, bei Claus Freude auslösen. Eine automobile Marie Kondo – die berühmte japanische Ordnungsberaterin und Bestsellerautorin – würde bei dem Versuch, hier aufzuräumen, unweigerlich verzweifeln. Jedes Mal, wenn Claus auf ein bestimmtes Detail auf der Liste der Autos zeigt, die er mir auf seinem Smartphone zeigt, leuchten seine Augen vor Begeisterung. Ich bin sicher, dass er hofft, die meisten dieser Modelle irgendwann einmal reparieren oder restaurieren zu können. In diesem Fall begnüge ich mich gerne mit dem Zählen von Absichtserklärungen.
Als es an der Zeit ist, sich zu verabschieden, erklärt er mir noch, warum das Moss-Getriebe im Jaguar „eigentlich besser ist, gerade weil es so schrecklich ist“. Besser als jeder nicht originalgetreue Ersatz, der nicht bei jedem Gangwechsel knirscht, denn „so kann man am ehesten nachempfinden, wie es war, damals mit diesen Autos zu fahren.“ Zuletzt nimmt er mir das Versprechen ab, niemandem von seiner automobilen Sammelmarotte zu verraten. Huch!
Photos and words by Błażej Żuławski © 2022