Man sagt, der frühe Vogel fange den Wurm, aber ich persönlich wollte nie die Wahrheit dieses Sinnspruchs überprüfen. Schlaf ist für mich heilig, es sei denn, es passiert gerade etwas Spannendes, das mit alten Autos zu tun hat. Wie beispielsweise am letzten Wochenende. Samstagmorgen um sieben Uhr befand ich mich putzmunter hinter dem Steuer eines Porsche 928 von 1978, lackiert in der interessanten Farbe Olivgrün, und machte mich auf zum Treffunkt für die erste Klassikerveranstaltung der Saison nach dem Lockdown: die Tour des Berliner Flitzer Clubs.
Schon im letzten Jahr war ich beim ersten Event der Flitzer dabei und begeistert von der Art, wie die Organisatoren um Dr. Dirk Rumpff die Leidenschaft für klassische Autos mit der Wertschätzung für Architektur und Kunst und der Neugier auf bisher unentdeckte Orte verbanden. So sieht Autokultur aus, wenn sie ihren Platz in einem weiter gefassten Kulturverständnis einnimmt statt wie so oft um das Kind im Manne zu kreisen, der stundenlang über sein Lieblingsthema redet und dabei allesamt zu Tode langweilt.
Nach zwei abgeschotteten Monaten konnte ich es nicht fassen, endlich wieder mit einem Kreis von gleichgesinnten Enthusiasten unterwegs zu sein. Noch sehr gut erinnere ich mich an die verrückte Fahrt letzten September im schwarzen Ferrari Testarossa von Ulf Poschardt, Chefredakteur von „Welt“ und „Welt am Sonntag“. Die gute alte Zeit, als man sich noch ein Auto mit einem Fremden teilen konnte und Hände schüttelte statt zum elbow bump auszuholen oder unbeholfen zu winken erscheint wirklich weit weg.
Aber in dem Moment, als ich in den Parkplatz des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin einbog, während der 4.5-Liter-V8 meines Porsche ermutigend vor sich hin brabbelte, hatte ich ganz kurz den Eindruck, als sei alles wieder wie zuvor. Man vergisst die Pandemie angesichts einer Kulisse, die so atemberaubend ist wie die exzentrische und brutalistische Form des von Fehling und Gogel entworfenen Instituts – einer Symphonie in rohem Beton und Stahl. Die Wahl des Hygieneinstituts als Startpunkt erschien mir nicht nur architektonisch, sondern auch thematisch sehr passend, während ich meine Maske anlegte und mir zum dritten Mal an diesem Morgen die Hände desinfizierte.
In einer gelungenen Demonstration sprichwörtlicher deutscher Pünktlichkeit kamen zu dieser frühen Stunde immer mehr Autos an, aus denen lauter vertraute Gesichter ausstiegen. Thomas Marecki, der Gründer des Magazin „Lodown“, kam in einem Ferrari 308 GT4 in Azzuro California. Daniel Hoffmann fuhr in einer mintfarbenen Lancia Flaminia vor, wobei mir auffiel, das Touring-Karosserien und grauer Lack offensichtlich wiederkehrende Themen seiner Sammlung sind. Wie hätte ich seinen Maserati 3500 GT von der letzten Flitzer-Tour vergessen können? Nico und Sara waren in ihrem zart grauen BMW 1600, der sie auf Roadtrips durch ganz Europa begleitet hat, ebenfalls mit von der Partie. Sie hatten eigentlich vor, an genau diesem Wochenende in der Toskana zu heiraten. Aber dann kam ihnen das Coronavirus zuvor.
Andere Teilnehmer kamen zum Beispiel in einem wunderschön gealterten Mercedes-Benz 190SL, der stets im Besitz einer Familie geblieben ist und seit über 45 täglich gefahren wird. Es gab einen originalen Jaguar E-Type S1 in Weiß und einen sehr frühen Porsche 911 in der gleichen Farbe, die beide dem Architekten Claus Anderhalten gehören. Mit von der Partie waren auch zwei Jaguar XJ-S – ein limitierter „Le Mans“-V12 und ein später gebautes 4.0-Liter-Exemplar in pechschwarz, dass mich daran erinnerte, wie dringend ich solch ein Auto wieder besitzen möchte. Ach ja, und dann war da noch ein E-Type SIII V12, dessen Besitzer einen Teil der Chromverzierung am Kühlergrill hatte entfernen lassen – eine Entscheidung, die das Design tatsächlich deutlich verbesserte.
Eine Auswahl an Porsche 911 fand sich ein, dazu der legendäre schwarze Ferrari Testarossa, zwei Maserati Khamsin – für mich eine Meisterleitung Marcello Gandinis –, ein besonders gehegter und gepflegter Maserati Indy (besuchen Sie @fantomas_ds auf Instagram, wenn Sie neugierig geworden sind) und ein weiterer Porsche 928, der sich in einem etwas besseren Zustand befand, als mein betagter Leihwagen. Jetzt war das Flitzer Team komplett und bereit für eine beherzte Tour durch die riesige und fast menschenleere ostdeutsche Landschaft.
Es würde laut werden, begleitet vom berauschenden Duft der Kohlenwasserstoffe, die den bis zum Anschlag drehenden Motoren entstiegen, dazu ab und an ein freches Überholmanöver im Stil der Mille Miglia und eine schöne vorbeiziehende Szenerie. „Wir wollten eigentlich nicht Klassiker mit Schlössern kombinieren, weil es sich wie ein Klischee anfühlt“, erzählte mir Dirk Rumpf, „aber das ist eben das wirklich interessante hier draußen.“
Als wir an unserem ersten Halt, der aufgegebenen Heilstätte Grabowsee, ankamen, fand ich, dass er sich keine Sorgen hätte machen müssen. Dieser Ort passte nicht nur ästhetisch angenehm in das globale Thema Pandemie, die einstige Lungenklinik bot auch die Gelegenheit, einen Kaffee zu trinken und die einst dekorativen, jetzt heruntergekommenen Räumlichkeiten zu erkunden. Dass dieser Komplex auch im Hollywoodfilm „The Monuments Men“ mit George Clooney, Matt Damon und Bill Murray eine Rolle gespielt hatte, verstärkte die Aura des verlassenen Orts.
Obwohl die Flitzer natürlich den gebotenen Abstand voneinander hielten, spürte ich ihre starke Erleichterung, die schiere Freude, endlich wieder unterwegs zu sein, wie wahnsinnig zu fahren, Baudenkmäler wie das Schloss Kummerow mit seiner hervorragenden Sammlung moderner Kunst und Photographie zu besuchen – und sich nicht über einen kleinen Bildschirm, sondern von Angesicht zu Angesicht ganz real mit einander austauschen zu können.
Als Pole hat es mich besonders gefreut, dass der Flitzer Club internationaler geworden ist – dank eines in Berlin wohnenden niederländischen Ehepaars, einer italienischen Dame namens Claudia und meinem in Venezuela geborenen Copiloten Jose Alejandro Arretureta Acevedo, hinter dem sich der in der Szene bekannte Alex Berlinetta von Carphiles verbirgt. Post-pandemische Geopolitik stand zwar auch auf dem Konversationsmenü, aber die Gespräche wurden mit herzlichen Witzen gewürzt – Lachen ist schließlich die beste Medizin.
Auf den ersten Tag wurde mit Kessler Sekt angestoßen, quasi Deutschlands Antwort auf den Champagner und nicht nur die älteste deutsche Kellerei für perlenden Wein, sondern auch der bisher einzige Sponsor des Flitzer Clubs. Kessler hatte großzügig den Grand Réserve „Georges“ Jahrgang von 2013 aufgefahren – ein Umstand, den auch der durstige Autor dieser Zeilen sehr zu würdigen wusste.
Der zweite Tag hatte schließlich als abschließenden Höhepunkt ein Gourmetdinner auf Schloss Schwante, das sich im Besitz eines Flitzer-Mitglieds befindet. Als die Autos nach und nach vom makellosen Rasen vor diesem herrschaftlichen Anwesen starteten, fühlten wir alle zusammen doch den schmerzlichen Verlust, uns als Ausdruck neu geknüpfter Freundschaften zum Abschied nicht umarmen zu dürfen. Wir hoffen einfach, dass wir das bei der nächsten Auflage dieses unterhaltsamen Events nachholen können. Weiter so!
Fotos: Błażej Żuławski für Classic Driver © 2020