Beerdigungen sind fast immer schwierige Anlässe. Das gemeinsame Empfinden eines Verlusts, die bittersüßen Erinnerungen, das schmerzhafte Bedauern verpasster Gelegenheiten. Wie aber trauert man um eine automobile Ikone? Wie verfasst man eine Eloge, um die Karriere eines der am meisten geschätzten Fahrerautos aller Zeiten zu feiern – der Lotus Elise? Am besten fängt man damit an, hinter das Steuer zu klettern.
Man hat uns die Schlüssel zu einem Stück Automobilgeschichte in die Hand gedrückt: der letzte Lotus Elise Cup 250, der gebaut wurde. Wir erhielten den Auftrag für eine sehr spezielle Mission, die darin bestand, dieses Auto auf die einzig ihm gemäße Art zu verabschieden. Und gibt es eine schönere Art, dieses beherzte Leichtgewicht aus Hethel zu zelebrieren, als mit dem letzten Exemplar seiner Art eine rasante und herausfordernde Tour auf gut 8.000 Kilometer europäischen Asphalts zu unternehmen?
So hätte sich das Colin Chapman auch gewünscht.
Der Elise verkörperte, was es bedeutete, ein analoges Auto in der modernen Ära zu fahren. Die Philosophie des back-to-basics hat 25 Jahre lang Widerstand gegen die Autoindustrie geleistet, weil sie sich diesem unerbittlichen Trend hin zu größeren, schwereren und komplexeren Fahrzeugen nicht beugen wollte. Bei Lotus hielt man sich an die bewährte Formel, die Chapman einst als sein Ethos formuliert hatte – „vereinfachen, dann Leichtigkeit hinzufügen“.
Es gibt nur eine Richtung vom Ausgangspunkt auf den britischen Inseln und die führt nach Süden zu den Bergen Norditaliens und der Schweiz via Belgien, Holland und Deutschland. Die mächtigen Alpenpässe Stilfser Joch, Susten und Furka locken: Sie bilden den Himmel auf Erden für jeden passionierten Fahrer und bieten genau das Terrain, das die Schöpfer des Elise vor Augen hatten.
Auf diesen Straßen mit ihren beharrlich angelegten Steigungen, unvermittelten Bremszonen, technisch anspruchsvollen Kurvenführungen werden Fahrwerk, Federung und Lenkung putzmunter und alert, gerade so, als würde das Auto über diese Form der Bestrafung jubilieren. Hier greift auch keine sich einmischende Elektronik, die bemüht ist, den Untergrund für den Fahrer zu übersetzen. Es herrscht die schiere, ungefilterte Verbindung zwischen Mensch und Maschine.
Im Vergleich zu heute steht nicht sonderlich viel Leistung zur Verfügung – die 250 PS würden unter den Zeitgenossen des Elise kaum für Schnappatmung sorgen. Aber hier oben auf den unzähligen Serpentinen der Alpen, setzt sich der kleine Elise so ziemlich gegen alles, was sich ihm in den Weg stellt, durch. Natürlich arbeitet hier nicht der Motor zu seinem Vorteil, sondern die Masse, beziehungsweise das Fehlen einer solchen: Nur 931 glorreiche und mühelose Kilo müssen fortbewegt werden.
Ein anderes As, das der Gründer von Team Lotus aus seinem Ärmel schüttelte, bestand darin, in Monaco und dessen Grand Prix-Entourage aufzutauchen und erbarmungslos den größeren Herstellern die Schau zu stehlen. Dieser Show wollen wir nur zu gerne bei unserem Besuch im Fürstentum nachspüren.
Auf der Fahrt durch die Straßen von Monte Carlo, umgeben vom schwergewichtigen Charme der Bugatti, Koenigsegg, Pagani und all den anderen limitierten Kostbarkeiten, die dort zum Straßenbild gehören, wird wieder einmal klar, dass dieser David sich nicht vor den Goliaths verstecken muss. Fraglos hilft hierbei aber auch der Umstand, dass unser Lotus in einer Farbe lackiert ist, die selbst im Monaco-Tunell taghell leuchtet. Zugleich ist unser quirliger Sportwagen auch der Beweis, dass man an der Cote d`Azur beileibe kein Hypercar braucht, um für verdrehte Hälse zu sorgen.
Wir lenken nach Norden ein und steuern das Vereinigte Königreich an. Währenddessen überlegen wir, was uns am Lotus Elise in Erinnerung bleiben wird. Ja, manchmal entwich der eine oder andere Tropfen, man musste sich verwinden können, um auszusteigen und es rasselte immer wieder, als hätte man lose Münzen in der Hosentasche. Aber wenn der Elise eines bewies, dann das zweifellos weniger immer mehr ist. Mehr Verbindung, mehr Erlebnis, mehr Emotion.
Über die kompakte Haube des Lotus Elise blicken wir in eine Zukunft, die von Dreitonnen-SUV, von elektrischen Antrieben ohne elektrisierendem Charakter und von autonomen Fahrzeugen bevölkert sein wird – dieser Ausblick erinnert uns an die schlichte Schönheit von drei Pedalen. Der Elise mag nun der Vergangenheit angehören, aber er ist nicht vergessen. Dieses muntere, von Hand aufgebaute Kompositauto besitzt genug, um uns noch einiges zu lehren.
Jeder Trend entzündet einen Gegentrend. Da stellt sich doch die Frage, ob ähnlich der Renaissance mechanischer Uhren nach dem Siegeszug der Quarzwerke wir noch die Wiederkehr der analogen Automobile erleben werden – nur für Wochenend-Ausflüge und befüllt mit synthetischem Kraftstoff versteht sich. Es lohnen sich vielleicht jetzt schon ein paar Stoßgebete für diese Wiederkunft.
Text: Rob Ellerington
Fotos: Jon Gorman