Wie würden Sie Europa bereisen, wenn Sie Angst vor dem Fliegen hätten? Sich den Tücken einer Bahnreise aussetzen oder vielleicht wäre ein Langstreckenbus die Lösung? Für uns Enthusiasten erfüllt beides mit Grausen, weswegen der Besitzer dieses 190 E Evo II Züge eines Helden besitzt. Um seine Angst, sich einem Flugzeug anzuvertrauen, zu umfahren, fuhr der einzige Eigner dieser speziellen Mercedes-Homologation lieber auf vier Rädern rund um den Globus. So addierte sich auch eine Laufleistung, die man eher mit Weltraumreisen verbindet. Es lohnt sich, die Geschichte einer der verrücktesten Limousinen mit Stern zu beleuchten, um zu verstehen, weshalb dieses Projektil die ideale Wahl ist, um Flughäfen erfolgreich aus dem Weg zu gehen.
Wie der Name Evo II verrät, handelt es sich hier um die zweite Evolutionsstufe der kleinen Sportlimousine von Mercedes. Die Dinge kamen ins Laufen mit dem 190 E 2.3–16, der ursprünglich für den Einsatz im Rallyesport gedacht war, doch Mercedes entschied in weiser Voraussicht, sich auf die DTM zu konzentrieren, nachdem Audi den unschlagbaren Quattro vorgestellt hatte. Damit die Marke aber in der Deutschen Tourenwagen-Meisterschaft starten durfte, brauchten die Rennwagen ein straßentaugliches Pendant. Das war die Geburtsstunde des 190 E 2.3–16 mit einer zivileren Version des Cosworth-Motors aus dem Tourenwagen. Mercedes musste hier die ersten Schritte beschleunigen, denn durch die heftige Rivalität mit BMW und der Ikone E30 M3 musste der 190 E laufend optimiert werden. Diese Bemühungen führten zum 190 E 2.5 mit einer größeren und robusteren Maschine und gut 17 PS mehr Leistung. Diese ersten beiden Modelle waren zwar um einiges lebhafter, als der serienmäßige 190 E, wirkten aber noch nicht ausgesprochen extrem. Allenfalls der Heckspoiler verriet den Ursprung aus dem Motorsport. Allerdings sollte jetzt ein neues Spiel starten.
Bei BMW ruhte man sich natürlich nicht auf den Lorbeeren aus und feilte ebenfalls an der kleinen Sportlimousine. Der M3 Evolution wie der Evolution II bescherten dem E30 M3 mehr Power, aggressiveres Design, leichteres Glas und größere Bereifung. Doch erst die Vorstellung des M3 Sport Evolution in 1989 zündete die Triebwerke der Stuttgarter Entwickler. Denn der Rivale wurde mit einem 2,5-Liter-Motor aufgerüstet, der 238 PS leistete, einen einstellbaren Frontsplitter und Heckflügel besaß und an Stelle der vorderen Nebelleuchten mit Bremskühlkanälen aufwartete. Mercedes ließ nicht lange auf sich warten und präsentierte den 190 E 2.5-16 Evo I mit vergrößertem Heckflügel und Frontsplitter sowie muskulös ausgeprägten Radläufen. Es gab sogar eine verstellbare Federung, die sich durch einen Schalter im Cockpit bedienen ließ – eine absolute technologische Innovation der späten achtziger Jahre. Ganz offenkundig hatten die Spezialisten von Mercedes ihren Spaß mit dem Evo I. Aber mit der Vorstellung eines der coolsten Homologationsmodelle überhaupt sollte es nochmal viel verrückter werden.
Das absolute Spitzenmodell im Wettkampf der Ingenieure war der 190 E 2.5 Evo II. Er erblickte beim Genfer Autosalon 1990 das Licht der Öffentlichkeit – auf den ersten Blick schien es, als hätte Mercedes die Messe mit einem Showroom für Kampfjets verwechselt. Aber dieses aberwitzige Design entsprang nicht der überhitzten Phantasie eines Teenagers: Mercedes hatte sich die Top-Experten geholt, damit BMW gegenüber ihrer Über-Limousine das Nachsehen haben sollte. Aerodynamiker der Uni Stuttgart zeichneten für die Formgebung verantwortlich zu der ein einstellbarer Frontsplitter ebenso gehörte wie einstellbare Klappen am Kofferraumdeckel wie am Heckflügel selbst. Was war das Resultat dieser geballten Kompetenz? Die Anpresskraft auf der Heckachse betrug 57,1 Kilo, auf der Vorderachse 21,2 Kilo. Das sorgt nach heutigem Standard zwar nicht mehr für Staunen, aber es funktionierte! Der Mercedes 190 E 2.5-16 Evo II von 1990, den Sie auf diesen Fotos bestaunen können, ist Nummer 309 aus nur 500 gebauten Exemplaren – damit ist er noch seltener als selbst der glanzvolle neue Ferrari Daytona SP3. Dieser Evo II hatte nur einen Besitzer im Lauf der 30 Jahre, eben jener Herr, der nicht fliegen wollte. Er nutzte das Auto in den ersten zehn Jahren als Daily Driver und fuhr damit regelmäßig die Strecke zwischen Paris und Genf. Anschließend genoss er diese Homologationsmaschine für Ausfahrten an den Wochenenden. Er mag keine reine Garagenexistenz geführt haben, aber dafür befindet sich dieser Mercedes in ausgezeichnetem Zustand. Der ausgeprägte Tachostand sollte sogar für den nächsten Eigner Anreiz genug sein, dieses Auto auszukosten. Sehen Sie sich schon am Steuer dieses wahnwitzigen Mercedes? Dann ist die Aguttes Autumn Sale am 12. Dezember die Gelegenheit, für eine Ikone aus Stuttgart zu bieten.
Photos by Mathieu Bonnevie