In einer Zeit, als Supersportwagen meist auch noch superwild waren, gab sich der 959 als Klassenprimus. Und zwar als einer mit Manieren. Erstaunlich, denn der 959 stammte direkt vom Porsche 956 beziehungsweise 962 Gruppe C Rennwagen ab. Damit war er technisch gesehen eigentlich auf Krawall gebürstet, doch Porsches Ziel war es, schnelles, sicheres Fahren abseits der Rennstrecke zu ermöglichen. Dieses Paradestück gelang.
Poster-Star
"...von einem unberechenbaren Biest ist der 959 weit entfernt."
Seinerzeit hatte der 959 bei vielen den Ruf weg als ein mit reichlich‘ Steroiden gedopter Porsche 911. Doch im Vergleich zur damaligen Konkurrenz vom Schlage Ferrari F40 und Lamborghini Countach, die das zeitgenössische Maximum an Extrovertiertheit demonstrierten, wirkte der 959 geradezu brav. Dennoch war er als Poster-Star genauso beliebt. Denn irgendwie ahnte man, dass mehr unter dem durchgestylten Blechkleid stecken musste. Mehr Leistung, mehr Know-How, mehr Porsche.
Das probieren wir aus und starten den knapp 3,0 Liter messenden Sechszylinder-Boxer mit einem Schlüsseldreh. Es rumpelt im Heck und der Boxer hämmert drauf los. Er klingt dabei schon anders als die üblichen Porsche-Aggregate. Dumpfer, sonorer. Eine Vorahnung auf die Wirkung der beiden Turbos. Diese stellten mit ihrer Doppel-Anordnung das erste wesentliche Novum des 959 dar. Denn die Turbolader waren hintereinander geschaltet, um das Turboloch zu überbrücken. Das war damals bei Supersportwagen eine ganz übliche Erscheinung – und eine tückische dazu. Der Porsche überspielt dies auch heute noch gekonnt. Auch wenn bei 4.500 Motorumdrehungen immer noch ein ordentlich spürbarer Punch den Wagen noch vorne wirft. Eben dann, wenn der zweite Turbo einsetzt. Man muss hier den Gangwechsel bei forschem Beschleunigen genau einplanen, denn sonst haut der Turbo ins Leere, und das ist nicht so schön. Doch von einem unberechenbaren Biest ist der 959 weit entfernt. Dafür sorgt auch eine andere Innovation: der Allradantrieb mit variabler Drehmoment-Verteilung.
Im Notfall rufe 959
Bei unserer Ausfahrt wird auch klar, dass die Bremsen wohl damals den absolut neuesten Stand der Technik darstellten. Noch heute packen sie fest zu, gesteuert von einem tadellos funktionierenden ABS-System. Ebenso gilt dies für die Federn und Dämpfer. Sie sind nicht nur variabel einstellbar hinsichtlich Fahrzeughöhe und Härte, sondern auch vorbildlich in punkto Komfort und Kurvenstabilität. Unabhängig von ihrer vorgewählten Einstellung steigt die Straffheit des Fahrwerks mit zunehmender Geschwindigkeit. Wer wollte, konnte so die Power des Porsche 959 ausreizen und nicht nur auf deutschen Autobahnen auf bis zu knapp 320 km/h beschleunigen.
Dass der 959 Leistung mit einem hohen Maß an Sicherheit und Komfort auf die Straße bringt, ist aus heutiger Sicht absolut erstaunlich. Wer mit der schwergängigen Rennkupplung klarkommt, könnte diesen Supersportwagen notfalls tatsächlich für den Alltag einsetzen.
Fotos: Simon Clay