Alles begann damit sich Luigi Chinetti bei der italienischen Luftwaffe meldete, um als Minderjähriger prompt wieder herausgeworfen zu werden. Doch Chinetti ließ sich nicht unterkriegen und ging zu Alfa Romeo, wo er in kurzer Zeit vom einfachen Mechaniker bis in die Rennabteilung aufstieg. Für den aufgeweckten Teenager war es die erste Begegnung mit dem Motorsport. Aber Chinetti fühlte sich im Italien der Faschisten nicht heimisch und zog 1925 nach Frankreich. Bald wurde er Werksfahrer für Alfa und krönte seinen Umzug mit zwei Siegen in Le Mans. Um der Einberufung Ende der dreißiger Jahre zu entkommen, schiffte er sich 1940 nach Amerika ein und startete dort mit einem französischen Team in der Indianapolis 500. Damals hatte der junge Rennfahrer keine Ahnung, dass er nicht in das kriegszerrüttete Europa zurückkehren würde.
Und nun kann man in der bewegten Biografie Chinettis um sechs Jahre vorspulen: Es ist Weihnachten 1946 und der Italiener aus den USA besucht einen anderen automobilbegeisterten Italiener, nämlich Enzo Ferrari, mit dem er sich während seiner Zeit bei Alfa angefreundet hatte. Bei einem Gespräch über Zukunftspläne erzählte Ferrari, dass er künftig Sportwagen bauen wollte. Eine Idee, für die Chinetti viel Potenzial sah, denn er hatte in den USA wohlhabende Freunde gefunden. An diesem Abend schlug die Geburtsstunde von Chinetti Motors und damit auch die des North American Racing Teams.
Nicht nur, dass Chinetti damit zum offiziellen nordamerikanischen Ferrari-Importeur avancierte - er konnte nun auch private Rennfahrer mit Ferrari-Rennwagen versorgen. Mit seiner Wettkampf-Erfahrung und seinem Einfluss bei den amerikanischen Rennsportbehörden ermöglichte er seinen Kunden auch den Start bei den besten und lukrativsten Motorsport-Events. Er konnte sich sogar selbst ans Steuer vieler Rennwagen, die er geliefert hatte, setzen und viele Erfolge als Fahrer verbuchen, darunter Siege für Ferrari in Le Mans und bei den 24 Stunden von Spa. Im Jahr 1954 hängte er seinen Rennoverall jedoch endgültig an den Nagel.
Es ist nicht genau bekannt, wann N.A.R.T. offiziell entstanden ist. Aber Chinetti erhielt 1958 für seinen Rennstall mit dem Logo, auf dem ein Cavallino Rampante unterhalb der Stars and Stripes prangte, finanzielle Unterstützung von reichen Gentleman Drivers wie George Arendts und Jan de Vroom. Dessen ungeachtet, sorgten Luigi Chinettis Renommee sowie seine Verbindung mit Ferrari für einen zuverlässigen Strom an ehemaligen Werksrennwagen, die berühmte Piloten wie ambitionierte reiche Amateure gleichermaßen anzogen. Zudem war der Erfolg auf der Rennstrecke die ideale Werbung, um während der Woche Autos verkaufen zu können.
Über drei Jahrzehnte nahm es N.A.R.T. gegen die Werksteams bei berühmten Rennen in aller Welt auf - mit einem überschaubaren Team aus Freiwilligen und Mitarbeitern von Chinetti Motors. Das Budget war immer knapp, die Finanzen angespannt und oft standen die Erfolge im Schatten von mittelmäßigen Resultaten und internen Querelen.
Dennoch gab es genügend Highlights. Die Krönung war wohl der beeindruckende und völlig unerwartete Sieg in Le Mans im Jahr 1965. Gerade in einer schwierigen Zeit für das Team gab dieser Triumpf der Moral und den Finanzen einen riesigen Adrenalinstoß. Aber selbst dieser überragende Sieg kam nicht ohne Kontroverse aus, soll doch der dritte Fahrer, Ed Hugus, seinen Stint kurz mit Jochen Rindt und Masten Gregory geteilt haben - eine Entscheidung, die nicht offiziell autorisiert und auch später nicht gewürdigt wurde. Einige Jahre später wurde gemunkelt, dass eines der Teamfahrzeuge bei der Abnahme ein verstecktes neunjähriges Kind an Bord hatte, um dem geforderten Gewicht zu entsprechen. Sollte dieses damalige Kind jetzt diese Zeilen lesen: bitte melden!
Ein weiterer, nicht weniger skurriler Zwischenfall ereignete sich 1975 in Le Mans. Chinetti hatte wegen der Zulassung seines Ferrari 308 GT4 einen wütenden Austausch mit den Organisatoren des L'Automobile Club de l'Ouest und drohte, alle N.A.R.T.-Rennwagen bei einem negativen Bescheid zurückzuziehen. Die Offiziellen fielen auf den Bluff nicht herein und ein sichtlich gestresster Chinetti musste klein beigeben. Ob nun ein Fall von Leidenschaft oder Arroganz: mit dem Reglement ist nicht zu spaßen.
Wer sich an N.A.R.T. erinnert, hat vermutlich die aufgeblähten Sihouetten der Ferrari 512 BBLM-Renner vor Augen. Doch in den Glanzzeiten des Teams gab es kaum Rennwagen von Ferrari, auf die das Team keinen Zugriff hatte. Ob GTO, P4, 512 oder Daytona - die berühmtesten Modelle aus Maranello waren für N.A.R.T. am Start. Als Enzo seinen legendären Krach mit den italienischen Rennbehörden wegen der vermeintlichen Homologation seines 250 LM hatte, solidarisierte sich N.A.R.T. und setzte aus Protest sogar Ferraris Grand Prix-Fahrzeuge komplett mit den weißen und blauen Rennfarben ein. In genau diesem Rennwagen sicherte sich John Surtees 1964 die Weltmeisterschaft. Eine Leistung, an der Chinetti einen kleinen, aber wesentlichen Anteil hatte.
Aber N.A.R.T. setzte nicht nur auf Ferrari. In den frühen sechziger Jahren erweitertes das Team sein Engagement im Motorsport und war in einer Reihe unterschiedlicher Klassen unterwegs. Verschiedene exotische Exemplare aus Chinettis Business kamen so zum Einsatz, wie beispielsweise ein glühend roter ASA GT oder Sunbeam Alpine, die stolz aber doch irritierend das legendäre springend Pferd als Emblem trugen. Das interessanteste Beispiel für diesen Transfer war vermutlich die Chevrolet Corvette. Sie entstammte der Versteigerung eines Versicherers und wurde 1972 für ein anderes amerikanisches Rennteam in Le Mans gemeldet. „Old Scrappy” - wie die wohl nicht ganz taufrische Vette liebevoll genannt wurde - erreichte aber einen achtbaren 15. Platz im Gesamtklassement.
Wenn schon die Liste der Rennwagen, die N.A.R.T. aufbieten konnte, beeindruckend ist, dann ist das trotzdem kein Vergleich mit dem Who's who der über 100 Piloten, die für dieses Racing Team an den Start fuhren. Mit seinen intensiven Kontakten zu Amateuren wie Profis konnte Chinetti jungen Talenten eine Chance gewähren, aber auch die besten Fahrer weltweit für sich gewinnen. Stirling Moss, Mario Andretti, Phil Hill, die Gebrüder Rodriguez, Jean-Pierre Jarier - um nur einige zu nennen. Dieses Dreamteam belegt aber auch, welchen Einfluss Chinetti aus den verschiedensten Gründen in der Motorsportwelt genoss.
Das Aus ereilte N.A.R.T. im Jahr 1983, als nach immer geringerer Beteiligung der Rennbetrieb eingestellt wurde. Luigi Chinetti mag notorisch schwierig und starrköpfig gewesen sein, aber seine Leidenschaft für das Leben und das Rennen, sein Beharrungsvermögen und seine Fähigkeit, mit Marken, Kunden, Rennfahrern und Organisatoren umgehen zu können, sichern diesem italienisch-amerikanischen Motorsport-Unternehmer seinen ganz besonderen Platz in der Geschichte. Wer sonst hätte Ferrari davon überzeugen können, vom 275 GTB/4 zehn Cabrios zu bauen? Auf Bestellung von Luigi Chinetti und seinem Sohn “Coco” folgten noch weitere ungewöhnliche Ferrari-Kreationen, wie etwa der kantige, von Michelotti entworfene Daytona Spider Competizione. Und mehr noch, seine Suche nach neuen Talenten führte dazu, dass viele ihm auch ihre Karriere und ihre Erfolge verdanken. Heute ist der nordamerikanische Markt der wichtigste für Ferrari. Was wäre wohl, wenn Luigi Chinetti an diesem schicksalhaften Weihnachtstag nicht zu Gast bei Enzo Ferrari gewesen wäre?
Fotos: Veloce Publishing, LAT Photographic, Getty, Bonhams, RM Sotheby's, Keno Brothers