Es fällt nicht schwer sich auszumalen, am Steuer dieses vor kurzem vom Classic Driver-Händler DPM Motors verkauften Lancia Stratos die Passhöhe des Col de Turini zu erklimmen. Ganz alleine mit sich, dem Auto und der Landschaft - nur akustisch begleitet vom Röhren des im Heck kauernden 2,5 Liter Dino V6. Und sich vorzustellen, dass das knüppelharte Fahrwerk, die schweißtreibende Hitze im Cockpit, das hypernervöse Handling und die nicht existente Sicht nach hinten das Erlebnis nicht trüben können.
Mit seinen dicken Kotflügelverbreiterungen, den gigantischen Spoilern und anderen Rallye-Zutaten spielt der Gruppe-4-Stratos in einer anderen Liga als die Straßenversion – die puristischste Interpretation des radikalen Keils von Marcello Gandini. Doch was dem Rallye-Modell an Schönheit fehlen mag, macht es durch seine schiere Präsenz allemal wett. Geboren für die Rallye-Sonderprüfungen, spielt der Stratos großes Theater: Mit dicken hinteren Walzen, fetten konischen Auspuffrohren, einer Sitzposition, die die Gelenkigkeit eines Schlangenmenschen erfordert und einem zerklüfteten Armaturenbrett voller italienischer Bezeichnungen.
Der Stratos ist bekannt für sein launisches Fahrverhalten; er verlangt eine entschiedene, kräftige Hand. Das Leistungsgewicht liegt auf dem Niveau eines modernen Porsche 911 Turbo, der Radstand erinnert an ein Go-Kart. Doch wer sich ein wenig wie Sandro Munari oder Björn Waldegard fühlen will, dürfte die Kunst, dieses Biest den Col de Turini hinauf zu wuchten, sicher genießen. Immerhin ist der Pass ein legendärer Bestandteil der Rallye Monte Carlo und selbst im Frühsommer manchmal mit ein wenig Schnee bedeckt.
Die Ausstrahlung des Lancia Stratos ist zeitlos. Zumal seine glorreiche Rallyevergangenheit in Gruppe-4-Spezifikation besonders gut zur Schau gestellt wird. Alles an ihm – von der für die 1970er Jahre so typischen Keilform bis zur perfekt gekrümmten Windschutzscheibe – war radikal und trug zu den drei WM-Titel der Jahre 1974, ’75 und ’76 bei. Munari, der den Stratos wie kaum ein Zweiter beherrschte, bezeichnete das Auto einmal als „verständliches Monster“ – wie wir finden eine sehr treffende Charakterisierung. Nur Fertigungsqualität stand bei Lancia Corse nicht auf der Prioritätenliste. Und jeder Fahrer über 1,75 Meter hatte Mühe, sich überhaupt in die Kanzel hineinzuzwängen, geschweige denn das Biest zu fahren. Doch all das macht den Charme dieses unsterblichen Modells aus. Wir besäßen liebend gern einen Stratos. Es würde uns schon reichen, ihn nur zu anzusehen und dabei von einer Fahrt auf den Col de Turini zu träumen.
Fotos: Rémi Dargegen für Classic Driver © 2016