Über dem Wasser des Sees hängt Nebel, die Berge sind weiss verschneit, der Wind weht eisig, Raubvögel drehen ihre Kreise. Nur eine Stunde von Zürich entfernt bietet sich das perfekte Setting für einen Horrorfilm alter Schule. Das Biest, das aus der Tiefe kam. Doch in unserem Fall stammt das Getüm nicht vom Grund des Walensees, sondern aus den geheimen Zuchtlaboren von BMW in München. Mit gespannten Muskelsträngen unter nachtschwarz lackierter Karosserie, auf gewaltigen Chromfelgen nur zentimeter über dem Boden kauernd und aus schmalen LED-Scheinwerfern böse funkelnd, ist das BMW M6 Coupé die dunkle Bedrohung schlechthin. Kein anderes Modell der deutschen Automobil-Fauna wirkt so durch und durch böse und aggressiv. Und falls Hollywood für die nächste Comic-Verfilmung ein Gefährt für den Mad Villain aus der Schattenwelt sucht – man möge sich die Trickeffekte sparen und bitte direkt in München anrufen.
Schon 1984 sorgte der BMW M635 CSI für Angst und Schrecken auf der linken Spur. Damals genügten hierfür 286 PS. Knapp drei Jahrzehnte später wirkt diese Leistung fast niedlich – mobilisiert der neue M6 doch mittlerweile 560 PS, um seine gut 1,8 Tonnen Gewicht in 4,2 Sekunden auf Tempo 100 zu beschleunigen. Was bereits auf dem Papier beachtlich klingt, ist in der Wirklichkeit eine Erfahrung, die man sonst höchstens bei der Luftwaffe machen kann: Zunächst lässt man sich in ein schwarzes Leder-und-Carbon-Cockpit gleiten, dass seinen Piloten passgenau umschließt. Über die Knöpfe auf der Mittelkonsole strafft man Fahrwerk, Gasannahme, Lenkung. Dann greift man das dicke Ledervolant, tritt das Gaspedal durch, peilt durch die flache Frontscheibe die perfekte Linie an, während der Turbo unter der Haube zu einem markerschütternden Pfeifen ansetzt, das man eher bei einem startenden Jet erwarten würde.
Als BMW verkündete, der neue M6 werde keinen Zehnzylinder mehr, sondern „nur“ einen V8 erhalten, sorgten sich viele Kunden um den brachialen Schub des Performance-Topmodells. Wenn man von 680 Newtonmetern Drehmoment nach vorne gerissen wird wie von einem tollwütigen Flusspferd, scheint diese Befürchtung fast absurd. Denn bei der Zylinderzahl mag der neue M6 verloren haben, das Leistungsgewicht hat sich dagegen nochmals verbessert: Nur 3,5 Kilo muss jedes PS beschleunigen. Und auch das Siebengang-M-Doppelkupplungsgetriebe hilft, die Kraft des Motors möglichst ohne Verluste auf den Asphalt zu bringen. Bis 250 km/h geht der Ritt praktisch unterbrechungsfrei – dann schiebt BMW den Riegel vor. Erfahrene Fahrer können die Selbstbeschränkung aufheben lassen, dann liegt die Vmax bei ungezogenen 305 km/h.
Allerdings empfiehlt es sich, den Wagen im Grenzbereich trotz aller elektrischen Assistenten mit Respekt zu bewegen. Denn im Vergleich zu anderen Hochleistungs-Coupés, die jeder Fahranfänger bedenkenlos manövrieren kann, ist der BMW M6 noch immer ein nervöses Wesen, das bei jedem Gasstoß brüllt und bei unbedachten Manövern schnell mit dem Heck ausschlägt. Mit etwas Übung liegt jedoch genau in dieser letzten Unberechenbarkeit der Reiz. Ein Stealth-Sportwagen im Stil des BMW M635 CSI, den man ohne geschultes Auge und Gehör leicht verpassen konnte, ist der M6 dagegen nicht: Wer die 123.000 Euro für den Basispreis plus den Aufschlag für die nötigen Extras investieren möchte, sollte ein Freund des lauten Auftritts sein und gerne im Mittelpunkt stehen.
Dies gilt natürlich nicht nur für das BMW M6 Coupé, sondern die gesamte M-Palette vom M3 bis hin zum brandneuen BMW M6 GranCoupé, das in diesen Tagen vorgestellt wird. Dass die Leistungsschmiede vor 40 Jahren als reine Motorsport-Abteilung angefangen hat, ist angesichts der voll ausgestatteten High-Tech-Geschosse kaum mehr vorstellbar. Und doch haben es die Entwickler geschafft, den Spirit dieser frühen Jahre, als Rennfahrer wie Hans-Joachim Stuck und Jacky Ickx ihre bunt beklebten BMWs über den Nürburgring donnern ließen, zu erhalten. Man muss manchmal nur etwas genauer hinhören.
Fotos: Jan Baedeker