Zugegeben, dieser leuchtend gelbe Ferrari Testarossa Spider würde sich auf den von Palmen gesäumten Boulevards von Miami oder Los Angeles wohler fühlen, wo ihm sonnenverwöhnte schöne Menschen nachblicken. Stattdessen bewegt er sich in grauen verstopften Straßen von Paris.
Aber wussten Sie, dass dieses erste „Weltauto“ der Marke, das von seinem Designer Pininfarina als „Übertreibung der Extravaganz“ gerühmt wurde und zum Sinnbild der hyper expressiven achtziger Jahre avancierte, genau hier, im legendären Nachtclub Lido an der Champs-Élysées, Premiere feierte? Finden Sie nicht auch, dass der Kontrast zwischen dieser sinnlich extravaganten Ikone und der düsteren brutalistischen Architektur eines Pariser Industriegebiets eine ganz eigene spröde Schönheit erzeugt?
Wenig Autos setzen ein Ausrufezeichen hinter den flamboyanten Achtzigern wie der polarisierende Ferrari Testarossa. Gemeinsam mit dem Lamborghini Countach war der Mittelmotor-V12 erste Wahl bei den „Wolves of Wall Street“, Superstars des Pop und imagebewussten Playboys. Nicht zu vergessen: Der Testarossa war auch das unverhohlen verhohlene Polizeiauto in der stilprägenden TV-Serie „Miami Vice“.
Unter dieser unkonventionellen Keilform mit dem aufreizend breiten Heck, den zeittypischen Klappscheinwerfern, charakteristischen seitlichen Einlässen und mehr Ecken und Kanten als Michael Jacksons Bühnenkostüme verbarg sich ein leistungsfähiges und komfortables Chassis, das mehr von einem zivilisierten Grand Tourer als von einem heißblütigen Supersportwagen hatte. Als Antwort auf die Nachteile des 512BB war der Testarossa für Ferrari ein wirtschaftlicher Blockbuster.
Die Testarossa-Besitzer, die sich damals in den achtziger Jahren aus der Menge Tausender anderer Gleichgesinnter hervorheben wollten – ein ziemliches Unterfangen, hatten zwei Optionen. Entweder sie lieferten ihr Auto bei Tuningspezialisten wie König ab, damit ihr Exemplar ein Steroid-Treatment für geradezu schamlose Muskelkraft erfuhr oder sie gingen einen ganz entscheidenden Schritt weiter und ließen aus dem Modell etwas herausschälen, was als Ferraris größter Fehler galt: einen Testarossa Spider.
Dabei muss man in aller Fairness gegenüber Maranello festhalten, dass sie tatsächlich selbst ein Testarossa-Cabrio entwickelten. Aber nur ein Exemplar wurde gebaut. Ein atemberaubendes silbernes Auto mit blauen Akzenten und einem elektronisch faltbaren Stoffdach, das dem charismatischen und unvergleichlich stilvollen Gianni Agnelli zum 20. Jubiläum an der Spitze Fiats überreicht wurde. Im selben Jahr, in dem L´Avvocato sein einmaliges Auto geschenkt bekam, wurde der Testarossa Spider zum Star in dem Videospiel Out Run, längst ein Kultklassiker von Sega.
Man kann sich die Zahl der Blankoschecks und Bestechungsversuche vorstellen, die von Seiten wohlhabender und einflussreicher Kunden über Ferrari wie ein Sturm hereinbrachen, bettelten alle doch um ihren eigenen Testarossa Spider. Aber man blieb standhaft in Maranello und so mussten sich diese Kunden eben nach einem anderen Spezialisten umsehen, der ihr Coupé aufschnitt.
Von dieser Handvoll Spider-Umbauten, durchgeführt von einigen wenigen Firmen in Europa und den USA, sind jene des deutschen Engineering-Unternehmens und eigenständigen Autobauers Lorenz & Rankl fraglos die begehrtesten. Denn anders als bei den anderen Umwandlungen entstammten die von Lorenz & Rankl ihrer Dächer entledigten Testarossa direkt aus der Maranello-Produktion. Sie wurden dann nach Bayern transportiert, wo sie sorgfältig entwickelte Modifikationen wie ein verstärktes Chassis und ein teilelektronisches Faltdach erhielten um anschließend zur Fertigstellung zu Ferrari zurückzukehren.
Dass Lorenz & Rankl für diese Metamorphose allein schon rund die Hälfte des Testarossa-Neupreises verlangte, erklärt durchaus, weshalb nur fünf Exemplare über die offiziellen Ferrari-Vertriebskanäle ausgeliefert wurden – drei nach Frankreich, zwei nach Belgien. Dieses wunderbar ursprüngliche gelbe Beispiel, das Sie auf den Fotos sehen, ist eines jener fünf. Es wurde von seinem aktuellen Eigner 2016 bei einer Artcurial-Auktion gekauft. Zu diesem Zeitpunkt hatte es drei französische Vorbesitzer, einer davon ein Sammler mit einer Privatflotte von über 10 Testarossa.
„Manchmal schießt man im Leben haarscharf an den eigenen Zielen vorbei“, erzählt er uns. „Vor fünf Jahren konnte ich nicht erfolgreich um den ehemaligen Testarossa Spider Agnellis bieten. Von diesem Zeitpunkt an habe ich viel Zeit mit Recherche verbracht und endlich dieses Lorenz & Rankl-Exemplar entdeckt. Für mich der perfekte Spider. Ich habe diese Entscheidung nie bereut!“
Kaum hatte der Besitzer sein Auto in Händen, da reiste er schon mit seiner Frau ins italienische Puglia, um bei einer einwöchigen Rallye dabei zu sein. „Das Auto fühle sich an wie eine Rakete“, schildert er. „Ich habe mich dann unterwegs zu einem der Dörfer ein wenig mitreißen lassen und beschloss, einen Bus mitsamt fünf langsamerer Autos hinter ihm zu überholen. Gerade, als ich den Bus überholt hatte und mich wieder einreihen wollte, entdeckte ich voraus eine Straßenbaustelle wegen eines Erdrutsches. Wir haben das große Loch mit soviel Wucht erwischt, dass wir über dessen andere Seite geflogen sind und ganz normal ohne anzuhalten weiterfahren konnten. Das nenne ich ein hervorragend versteiftes Chassis!“
Als wir an diesem verhangenen Sommertag über die historischen Straßen von Paris fahren, wirkt dieses Auto wie ein unverhoffter Sonnenstrahl, zumal nach dem durch das Coronavirus erzwungenen Lockdown der Seinestadt. Die Mobiltelefone sind geschrumpft, statt pastellfarbenes Leinen trägt man dunkle Anzüge und auch die Haarmode ist um einiges dezenter als in den auftoupierten Achtzigern. Aber der Testarossa war und bleibt eine Ikone unter den Supersportwagen. Trotzdem, warum Ferrari einer hauseigenen Spider-Produktion nie grünes Licht gab, bleibt ein unergründliches Rätsel.
Fotos: Kevin van Campenhout für Classic Driver © 2020