Italienische Fahrkultur im britischen Maßanzug?
Der Sohn des erfolgreichen amerikanischen Ferrari-Importeurs Luigi Chinetti war ein Verfechter des urbritischen Phänomens „Shooting Brake“. Schon in den späten 1960er Jahren hatte er Vignale damit beauftragt, eine Karosserie für den Ferrari 330 GT zu entwerfen. Anfang der 1970er Jahre ignorierte Chinetti Junior jedoch die italienischen Karosseriebaumeister und wandte sich an die im britischen Surrey beheimatete Firma Panther Westwinds - jene Firma, die später den spektakulären wie unbezahlbaren Panther Six herausbrachte.
Der Panther schlägt zu
Der Empfänger der neuen Custom-Karosserie war ein Ferrari 365 GTB/4 „Daytona“ – genauer gesagt: Chassis Nummer 15275. Während Panther vielleicht nicht gerade die Expertise eines Designbüros vom Schlage Pininfarinas vorweisen konnte, war Chinetti beeindruckt vom Stil der Briten, ihrem Auge für’s Detail und der hohen Qualität ihrer Arbeit. Vielleicht war der Deal aber auch einfach nur der Tatsache geschuldet, dass Chinetti zu dem Zeitpunkt bereits als US-Importeur für Panthers Retro-Roadster unter Vertrag stand. „Wir dachten damals: Warum bauen wir nicht den ersten Ferrari mit dem Label „Made in England?“, erinnerte sich Coco Chinetti 2001 in einem Interview.
Praktische Lösungen für alltägliche Probleme
So wurde der brandneue Ferrari Daytona zusammen mit einigen abgeschlossenen Skizzen von Nordamerika nach Großbritannien verschifft, um Panther das Beste aus dem Projekt herausholen zu lassen. Und das Ergebnis? Nun, die Überhänge des Shooting Brakes waren etwas zu lang geraten. Doch die Schmetterlingsfenster im Heck, womöglich inspiriert vom De Tomaso Mangusta, waren geradezu genial – und praktisch, sowohl für die Jagd als auch für den täglichen Einkauf. „Wenn man zum Einkaufen fuhr und ganz normal parkte, so wie es die Leuten gemeinhin taten, hatte man kaum eine Möglichkeit, an die Heckklappe des Wagens zu gelangen. Doch eine seitliche Öffnung irgendwie zugänglich“, erklärte Coco. „Und es war sicherer, denn ich fühlte mich nie wirklich behaglich, wenn ich zwischen den Stoßstangen zweier parkender Autos stand.“
Sonderbare Details
Dass Coco bei solch einem außergewöhnlichen Ferrari Begeisterung für praktische Alltagsdetails zeigte, klingt geradezu skurril. Und es scheint, als hätte er bei der Entwicklung dieses One-Offs seiner Kreativität freien Lauf gelassen, denn der Ferrari vergnügt mit weiteren sonderbaren Details. Wer etwa auf dem Fahrer-Thron im mit Connolly-Leder ausgeschlagenen Interieur Platz nimmt und einen Blick instinktiv durch die oberen Speichen des Nardi-Lenkrads schweifen lässt, wird eine Überraschung erleben: Dort findet sich nichts außer Walnuss-Holz. Stattdessen muss der Fahrer sein Augenmerk nach rechts auf die Mittelkonsole richten, wo sich die komplette Instrumententafel des vom Rennsport abgeleiteten Daytona befindet. Apropos Rennsport: Man sollte das Gaspedal des Daytona nicht zu beherzt durchtreten, sonst kleben die schönen Einkäufe am Ende an der Heckscheibe.
Zwischen Supermarkt und Concours
Letztlich ist der Ferrari Daytona Shooting Brake vor allem eines: Ein leuchtender Stern in der Dämmerung der Coachbuilding-Ära. Er mag einige Design-Unstimmingkeiten haben – womöglich weil er eben nicht in Mailand oder Turin gezeichnet wurde. Aber: Egal ob Supermarkt, Country Club oder Concours – der Auftritt mit diesem Ferrari wird einzigaritg sein.
Fotos: © Amy Shore for Classic Driver