Direkt zum Inhalt

Magazin

Dieser siegreiche Jaguar XJR-15 Fangio galt als verschollen – bis jetzt

Der McLaren F1 mag das wohl begehrteste Supercar sein, aber mit nur 52 gefertigten XJR-15 ist dieser Karbon-Vorgänger des F1 der wesentliche seltenere große Bruder. Damit rückt dieses Fangio-Exemplar auf der Begehrlichkeitsskala ganz nach oben.

Es ist natürlich unbestritten, dass der McLaren mit den Le Mans-Lorbeeren als Provenienz und diesem Geschwindigkeitsrekord einen großen Ruf besitzt, aber hätte der McLaren F1 jenen Nimbus ohne den Jaguar Sport XJR-15? Ein straßentauglicher Le Mans-Rennwagen war ein langgehegter Traum des legendären Tom Walkinshaw, Eigner von TWR, der in den achtziger Jahren das Gruppe C-Engagement von Jaguar leitete. Bald nahm diese Vision Gestalt an und F1-Designer Peter Stevens wurde an Bord geholt, um zu visualisieren, wie dieses Auto aussehen könnte.

„Ich hatte viele Projekte mit Tom realisiert und wir haben uns gut verstanden. Aber nach dem Le Mans-Sieg 1988 wurde diese Idee seiner rechten Hand Andy Morrison mit der vollen Zustimmung von Tom vorgeschlagen. Er wollte sich immer an ein eigenes Auto heranwagen: Der Plan war, einfach eine straßentaugliche Version des Le Mans-Fahrzeugs zu entwickeln“, erzählt Stevens.

„Ich fertigte ein paar Skizzen an, um zu zeigen, dass das nicht der richtige Weg sein würde, denn der Einstieg war zu umständlich – die Kunden würden sich damit abmühen – und das würde Probleme beim Verkauf machen. Ich unterbreitete ihm drei Vorschläge. Er sagte: „Du bist hier der Designer, welche Variante sollen wir wählen?“ Also habe ich mich für einen Vorschlag entschieden.“

„Er wollte unbedingt ein Auto fahren nach seiner Rückkehr vom Le Mans-Rennen 1990, das sie im Übrigen gewonnen hatten. Er war so putzmunter und aufgekratzt, dass er kurzerhand die Kennzeichen von seinem Range Rover abmontierte, um mit dem Entwicklungsfahrzeug R9R eine Runde zu drehen!“

Als das XJR-15-Projekt schon gut fortgeschritten war, heuerte Steven bei McLaren an und lud aber deren legendären Konstrukteur Gordon Murray ein, sich von der Vor- und Nachteilen des Karbons als Werkstoff einen Eindruck zu verschaffen. Man darf behaupten, dass die Erkenntnisse aus der Entwicklung des XJR-15 geholfen haben, den McLaren F1 zu dem werden zu lassen, was er heute darstellt.

Blickt Stevens 30 Jahre später mit einem Hauch Wehmut an diese Zeit zurück? „Es verhält sich spektakulär auf der Straße – eine echtes technisches Meisterstück. Es ist eines der Projekte in meiner Karriere, das mir wirklich Freude bereitet hat. Wir waren ein sehr kleines Team, hatten viel Spaß und waren von Toms Enthusiasmus begeistert.“

Was hat es nun mit diesem Fangio-Exemplar auf sich? Mit Juan Manuel Fangio II am Steuer siegte es in der zweiten Runde des Jaguar Intercontinental Challenge in Silverstone und ist zugleich eines der originalen sechzehn Rennwagen, die im Einsatz waren. Einer der vielen Aspekte, der dieses Auto so außergewöhnlich macht: Dieser Fangio wird von seinem Siegerpreis – einem unbenutzten XJR-S – begleitet. Aber vor allem wurde in jeder Hinsicht die hohe Ursprünglichkeit bewahrt. Und noch etwas: Es eines der jüngsten Entdeckungen des XJR-15-Spezialisten Neal Gordon, der die letzten Jahre damit verbracht hat, nach und nach so viele dieser begehrenswerten Modelle wie es ihm möglich ist, aufzutreiben.

„Ich weiß von rund 28 Fahrzeugen und meistens bekomme ich jeden Monat einen Hinweis auf ein weiteres Exemplar. Eine Menge Menschen haben diese Autos vergessen, weil sie aus der Öffentlichkeit in den Besitz von extrem reichen Eignern oder Privatsammlungen wanderten. Man muss zunächst viel Erklärungsarbeit leisten und dann beginnen Menschen sich allmählich zu erinnern“, sagt Neal Gordon. Wie war das nun mit dem Fangio-Exemplar?

„Ich bekam aus heiterem Himmel einen Anruf mit der Mitteilung, dass sich das Auto in Kalifornien befindet. In meinem verschworenen Kreis von XJR-15-Nerds hatten wir diese Idee, dass das Auto tatsächlich existieren könnte. Mein Augenmerk liegt darauf, alle Exemplare zu lokalisieren, speziell die Rennwagen“, betont Neal.

„David Bradbury als XJR-15-Besitzer und ausgewiesener Kenner hatte ein körniges altes Foto des Fahrzeugs gesehen, aber wie sich herausstellte, war es eine Straßenversion mit Aufklebern. Niemand hat dieses Auto seit 30 Jahren gesehen – abgesehen von dem Eigner und seinem Freundeskreis war es nach dem Silverstone-Rennen einfach von der Bildfläche verschwunden. Es hatte sich in einer Sammlung befunden, keine Meilen auf dem Tacho und war in bestem Originalzustand. Wir vermuten, dass es drei Rennen absolvierte, ehe es dann nach Deutschland gebracht wurde, um 2006 in die USA transportiert zu werden, wo es letztlich wieder auftauchte. Ich konnte es nicht fassen. Wir waren tatsächlich schockiert, als es schließlich in Heathrow landete.“

Aus meinem kurzen Anruf bei Gordon wurde ein stundenlanges Gespräch, bei dem wir uns über alle diese Autos unterhielten. Viele der Exemplar wanderten nach Japan, inklusive der kaum bekannten LM – eine gute Quelle der XJR-15-Recherche in der jüngsten Zeit. Angeblich soll der Sultan von Brunei mindestens zwei Stück besitzen, wobei eines davon möglicherweise jetzt auf dem Grund des Hafens residiert – es wurde versenkt, um dem Bruder des Sultans eine Lektion zu erteilen, „weil er zu viel Geld ausgegeben hatte.“

Nach heutigem Stand sind die Rennwagen weit über zwei Millionen Pfund wert, aber damals in 2008 kam einer bei einer Versteigerung für 70.000 Pfund unter den Hammer, ein Racer in einwandfreiem Zustand. Sie galten als unverkäuflich. Heute dagegen haben McLaren F1-Besitzer zusammen mit anderen Sammlern die XJR-15 fest im Blick. Dieses Auto hat denselben Designer, ein ähnliches Konzept und es ist das erste aus Karbon gefertigte Fahrzeug. Gerade werden Pläne geschmiedet, um im nächsten Jahr in Monaco einen XJR-15 Drivers Club ins Leben zu rufen. Viele Exemplare werden bei diesem Event erwartet, der zugleich das Erscheinen von Peter Stevens neuem Buch zu diesem Auto feiert.

Es mag sich hier zwar um ein Gruppe C-Fahrzeug für die Straße handeln, aber sie sind dennoch erstaunlich alltagstauglich, denn der kraftvolle, kaum gestresste Zwölfzylinder ist verlässlich und drehmomentstark. „Sie fahren sich richtig gut. Wen man eine Stunde Dampf ablassen will, bieten sie riesiges Vergnügen. Aber man muss alert sein, die Gangwechsel synchronisieren und die Kunst von Ferse und Spitze beherrschen. Wenn man das alles kann, wird man den XJR-15 lieben. Wer Paddles, diese kleinen Blips, wenn die Automatik runterschaltet und aufwändige Lederinterieurs mag, sollte sich etwas anderes suchen.“ So das Fazit des Designers Peter Stevens.

Im Gespräch mit Stevens wird klar, dass er auch 30 Jahre später einen Platz für den XJR-15 in seinem Herzen reserviert hat. „Sammler mögen Exemplare mit ihrer eigenen Geschichte. Hier wird nicht geprahlt. Weder der XJR-15 noch der McLaren F1 sind vulgär. Letztlich sind es einfach nur Autos, aber welche die eine wichtige Periode im Autodesign verkörpern. Und ich persönlich war auf der verzweifelten Flucht vor diesem italienischen Faltkarton-Look.“

„Wenn Sie mit jemanden plaudern, der im eigenen Auto nach Goodwood gefahren ist, dann sind sie zwar geschlaucht, aber auch aufgedreht. Machen Sie das in einem modernen Supersportwagen, dann sitzt die Frisur noch, als wären Sie gerade eingestiegen. Klettern Sie aus einem XJR-15 und Sie fühlen sich zu hundert Prozent lebendig.“

Ich bin ganz seiner Meinung! Zu erleben, wie John Watson in seinen Sitz im Fangio hineinschlüpft – er fuhr das Auto in der Schlussrunde von Spa – war ein ganz besonderer Moment für alle, denen diese Autos eine Herzensangelegenheit sind. Für den großen ehemaligen McLaren-Rennfahrer war es wie ein ganz normaler Arbeitstag in seinem Büro, aber es war das letzte Rennen, das er bestritt und zugleich das erste Mal hinterm Steuer eines Rennwagens nach vielen Jahren. Die Wertschätzung, die Preise und die Nachfrage nach dem XJR-15 werden weiter steigen. Mit der Premiere des exklusiven Drivers Club im nächsten Jahr hoffe ich sehr, dass immer mehr dieser 52 Exemplare wieder entdeckt und dem Vergessen entrissen werden. Aber jetzt, in diesem Augenblick, ist dieses Fangio-Exemplar das sensationellste von allen.

 

Fotos: GF Williams © 2021