Der „klassische“ Range Rover ist ein typisches Merkmal der besonderen Lebensart, von den vornehmen westlichen Vororten von Paris bis zu den exklusivsten Skigebieten – und er erlebt dieser Tage ein riesiges Comeback. Wie uns Gautier Rossignol, der Leiter von Aguttes On Wheels-Abteilung aufklärt: „Der klassische Range Rover, der 1970 Premiere feierte, ist dank großartiger Optik, Komfort und Alltagstauglichkeit zu einer Ikone avanciert. Er ist zu einem Musterbeispiel für das schicke und elitäre Auto geworden.“
Trotzdem kennen wir Enthusiasten, denen der serienmäßige Range Rover nicht alle Wünsche erfüllt. Für sie dürfte dieser sechsrädrige Allrad-Range Rover, der an diesem Wochenende vom Pariser Auktionshaus Aguttes versteigert wird, ein lang gehegter Traum sein. Was Gautier Rossignol mit einem Lächeln zu der Bemerkung veranlasst: „Sie müssen nicht wirklich 600.000 Euro für ein Fahrzeug mit sechs Rädern bezahlen, um das Vergnügen zu haben, damit vor dem Ritz in Paris zu parken!“
Was diesen linkslenkenden, mit sechs Rädern ausgerüsteten Range Rover auch für das europäische Festland so ausgefallen macht, ist seine einmalige Historie. Der Unterbau des Fahrzeugs ist den meisten Briten nämlich vertraut, denn er wurde von Carmichael Ltd. gefertigt, eine Firma, die bereits 1971 begann, Range Rover für einen sechsrädrigen Antrieb umzuwandeln. Dann zielte Carmichael Ltd. auf eine Nutzung für Feuerwehr und Rettungswesen. Der Range Rover mit langem Radstand erwies sich hier als ideales Fahrzeug, denn er bot nicht nur eine höhere Nutzlast, sondern auch weit mehr Platz für die Ausrüstungen der Retter. Tatsächlich wurden vom überlangen Range sogar 400 Einheiten gefertigt, mehrheitlich gewerblich genutzt, nur ein kleiner Prozentsatz ging an Privatkunden. Folglich ist dieser besondere Range Rover eine echte Rarität.
Augustin Delalande, einer der Aguttes On Wheels-Spezialisten, verrät die Geschichte dieses Autos: „Der Eigner des Fahrzeugs, Monsieur D., ist ein Pariser Antiquitätenhändler und liebt als Fahrer die Langstrecken-Abenteuer. Er kam mit der Welt von Range Rover in Berührung durch einen engen Freund, der zugleich einer der versiertesten Range Rover-Spezialisten Frankreichs ist.“
Anfang der 2000er Jahr beschloss das Duo, bei einem Trans-Afrika-Rennen mit einem Carmichael Range Rover zu starten. Leider ereilte sie ein Unfall bei einer Wüsten-Durchquerung – das Auto überschlug sich und sie mussten ihren Traum, das Ziel zu erreichen, begraben. Damit war auch die Karriere des langen Range abrupt beendet.
Nach ihrer Rückkehr nach Frankreich machte sich das Duo auf die Suche nach einem zweiten Carmichael. Monsieur D., der aber immer noch den Traum einer Afrika-Durchquerung hegte, verliebte sich in die Idee, einen sechsrädrigen Range Rover in Paris für den Transport seiner vielen Kunstobjekte einzusetzen. 2008 fand der Expertenfreund des Antiquitätenhändlers schließlich einen weißen sechsrädrigen Carmichael-Range Rover von 1976 in Großbritannien. Angeblich ein ehemaliges Fahrzeug des Senders BBC und womöglich sogar eines, das für den Papstbesuch auf der Insel in Auftrage gegeben worden war, ehe die Bestellung dann doch storniert wurde. Monsieur D. kaufte das Auto sofort auf der Stelle und erinnert sich, dass die Rückfahrt nach Frankreich selbst schon ein kleines Abenteuer war. „Ich saß selbst am Steuer und weil ich an jeder französischen Auto Route-Mautstelle zum Bezahlen extra aussteigen musste, erntete ich Mal um Mal ein Hupkonzert!“
Ursprünglich war der Plan, mit dem Auto täglich in Paris unterwegs zu sein. Aber nach einigen Problemen mit der Zuverlässigkeit und mit Rost wurde 2012 entschieden, den Range vollständig zu restaurieren. Ein Entschluss, den Monsieur D. auch richtig und kompetent umgesetzt haben wollte: Die geschundene Originalkarosserie wurde entfernt und durch eine verlängerte LHD P38-Karosserie ersetzt, die von Christian de Leotard, dem französischen Experten für alles, was auf sechs Reifen ruht. De Leotard ist beileibe nicht nur für seine sechsrädrigen LWB Range Rover bekannt. Berühmt wurde er auch durch seinen One-off R5 Turbo auf sechs Rädern!
Für den Motor wählte man an Stelle des 3.4-Liter-V8 den leistungsfähigeren Range Rover V8 mit 3.9-Liter. Wie Auguste Delalande feststellt: „Alles in allem verbindet dieses Exemplar das Beste beider Welten: ein Carmichael Ltd.-Chassis mit der eleganten de Leotard-Karosserie. Ich möchte hinzufügen, dass dieses Auto heute ein 6x4 ist, da der vorherige Besitzer die Antriebswelle zwischen den beiden Heckachsen entfernen ließ. Natürlich kann es in die ursprüngliche 6x6-Konfiguration durch den Einbau einer neuen zusätzlichen Antriebswelle zurückversetzt werden.“
Dieses Exemplar mit seiner sehr prononcierten Optik ist längst ein alter Bekannter im Kreis der Pariser Kunsthändler. Wenn man einmal an Bord ist, fällt sofort die schöne Patina des beigefarbenen Lederinterieur ins Auge – ganz typisch für jeden klassischen Range Rover. Ein zusätzliches Highlight ist das Panorama-Schiebedach, das noch mehr Licht in den Innenraum lässt. Die Karosserie wurde kürzlich komplett neu lackiert. Sichtbar sind nur ein paar kleine Defekte, die typisch für einen Aufbau von Hand sind.
Augustin Delalande, der das Auto durch Paris und vor über die vornehme Place Vendôme pilotierte, war vom Handling angenehm überrascht: „Zunächst bekommt man überhaupt nicht den Eindruck vermittelt, dass es sich hier um ein sehr langes Auto handelt. Es zu bewegen, ist verblüffend einfach. Wir fuhren um den Place Vendôme und stellten fest, dass man diese engen Kurven locker passieren kann. Diesen Carmichael zu fahren, ist ein Kinderspiel und es ist komfortabel.“ Leider bekam Monsieur D. nie die Gelegenheit, mit seinem 6x4 nach Namibia zu reisen, einmal wegen seiner vielen Verpflichtungen und dann kamen noch die Reisebeschränkungen durch Covid-19 hinzu. Sein Trost war kürzlich ein langer Urlaubstrip nach Spanien, der allerdings bewies, dass dieses unkonventionelle Fahrzeug dank regelmäßiger Wartung ein sehr verlässlicher Reisepartner ist.
Aguttes on Wheels wird diesen überaus seltenen Range Rover an diesem Wochenende im Paddock der Rallye d´Aumale beim Polo Club de Chantilly nahe Paris ausstellen. Er wird bei der Auktion am Samstag aufgerufen mit einer Schätzung von 40.000 – 60.000 Euro. Die Zulassung des französischen Sammlers trägt den Vermerk, dass das Fahrzeug von Carmichael gebaut wurde. Vermutlich der einzige Range Rover in Frankreich mit diesem Hinweis. Die Chassisnummer lautet 35522156D. Wenn Sie Range Rover lieben und zugleich vor Exzentrik nicht zurückscheuen, dann haben Sie hier einen seltenen Schatz. Und ein ideales Gefährt für eine Langstreckenrallye!
Fotos: Kevin van Campenhout © 2022