Im großen Spiel der Zeit liegt 2006 – das Jahr in dem dieser bemerkenswerte RUF 911 gebaut wurde – nur einen Wimpernschlag zurück. Aber fühlt es sich nicht an, als hätte damals eine völlig andere Welt geherrscht? Aus meiner Perspektive betrachtet war es so, dass ich noch keine Kinder hatte (heute sind es zwei), dafür ein hektisches Leben in London (heute leben wir auf dem Land), nur ein Motorrad (heute sind es 15, weil ich mehr Platz habe). Man besaß die Freiheit, hin zu reisen, wohin man wollte (das ist jetzt Geschichte) und keine Ahnung davon, dass die Probleme durch das SARS-Virus in Asien etwas früher uns auf etwas ganz Anderes in Europa vorbereiten würden, Ein Europa, zu dem Großbritannien damals noch ohne Wenn und Aber gehören sollte.
Aber eine Konstante gibt es nach wie vor in meinem Leben – mein treuer alter Porsche 911. Ein „heißer“ SC Targa in Grand Prix-Weiß, der 2005 gekauft wurde, als der Elfer dieser Epoche unter der Baureihe 997 firmierte und man für gebrauchte 996 noch viel investierten musste, ehe die Werte in die Tiefe purzelteten, begleitet vom Gemurmel über das Ärgernis der IMS-Lager und die Designkontroversen rund um die „Spiegeleier“-Scheinwerfer.
Autos zu modifizieren, beispielsweise Hand an einen 911 zu legen, war damals ebenfalls im Vergleich zu heute kein Trend. Magnus Walker war noch ein unbekannter Tüftler, Singer sollte erst zwei Jahre später gegründet werden, KAEGE als Restomod-Spezialist der 993 nahm erst 2010 das erste Projekt in Angriff und Japans Akira Nakai hatte unter seinem Banner RWB mit seiner einmaligen Ein-Mann-Methode noch nicht die Weltbühne betreten.
Seinerzeit in 2006 sollten noch vier Jahre vergehen, ehe Instagram jedem Andy Warhols Versprechen von „15 Minuten lang eine Berühmtheit“ erfüllte und die Liste der weltbesten Porsche-Tuner in Gang kam. Diese hörte beim Buchstaben „R“ mit dem Namen RUF Automobile auf. Dahinter verbarg sich eine Firma, die 1939 in Pfaffenhausen von Alois Ruf als Service-Werkstatt gegründet wurde. Es sollte Alois Junior sein, der Mitte der siebziger Jahre dann den Fokus auf die Optimierung der Elfer legte.
Im Lauf der nächsten zehn Jahre sollte RUF nicht nur wachsendes Renommee durch seine Modifikationen genießen, sondern avancierte zu einem von Porsche genehmigten, selbständigem Hersteller, der Autos nach eigenen, extrem hohen Spezifikationen baute, mit neuen Karosserien und anderen Komponenten, die direkt aus Zuffenhausen geliefert wurden. Berühmt ist längst, dass ein neu gebauter RUF sogar seine eigene Fahrzeug-Identifizierungsnummer erhält, die immer mit W09 beginnt. Ebenso berühmt und sagenumwoben ist der gut 338 Stundenkilometer schnelle CTR „Yellowbird“ aus dem Jahr 1987 – heute selbst schon so etwas wie legendär.
Und damit wären wir wieder beim dem Exemplar, das Sie hier sehen. Nein, es ist kein Yellowbird, obwohl zu den fast chamäleonhaften Lackwechseln mal gelb, mal lindgrün, mal Gold und schließlich auch hellblau gehörten. Aber dieser Elfer ist ein RUF durch und durch mit seiner für Schnappatmung sorgenden Leistung, Qualität, Seltenheitswert - und für jeden 911-Enthusiasten unendlich begehrenswert.
Das Auto wurde 2006 von Grund auf gebaut und ist das letzte von zwei ähnlichen 996-basierten RUF Turbo. Obwohl es offiziell als „RTurbo“-Modell aufgrund der 996-Grundlage gilt, besitzt es den gleichen Motor (wieder 996f-basiert, aber auf 3.8 Liter aufgebohrt) und ist die Top konfigurierte Version des 997-Modells RUF RT12, die ab 2004 produziert wurde.
Mit diesem Drehmoment von 890 Nm könnte man auch Bäume ausreißen, dazu 650 PS auf Abruf und ein schwindelerregender Spurt von 0 auf 100 Stundenkilometer in nur 2,8 Sekunden. Bei diesen Leistungsdaten darf man sich wie bei jedem RUF der Nullerjahre auf eine Topspeed von 346 Stundenkilometer freuen. Ganz typisch für die Meister aus Pfaffenhausen geht es hier nicht nur um ein Upgrade des zweifach aufgeladenen Turbos und anderen hochqualifizierten Eingriffen in den Motor, die diesen RUF so schnell machen wie einen jeden der Supersportwagen des 21. Jahrhunderts. Das Geheimnis liegt in dem sorgfältig komponierten Paket, das dafür sorgt, dass der RTurbo viel leichter ist als der serienmäßige 996: Die Karbonfaserkomponenten, die umfassend bei Motorabdeckung, Kofferraumdeckel, Türen und Schalensitzen eingesetzt wurden, sind eigens und genauestens gefertigt.
Der Innenraum erhielt dasselbe RUF-Treatment und ist eindrucksvoll in einem blauen und roten Plaid, Alcantara und Leder ausgekleidet, wobei das Leder handwerklich beeindruckend auch um die Belüftungsdüsen genäht worden ist. Die Farbe der Karosserie wurde im RUF-Werk aufgetragen und ähnelt dem Chromaflair-Finish, das derzeit auch Porsche Exclusive anbietet. Übrigens, eine 84.000 Euro teure Option und damit in derselben Liga wie der Grundpreis des neuen 911 Carrera.
Andreas Wüest, der jetzt dieses Auto in seinem Showroom im nordschweizerischen Hallwil zum Verkauf anbietet, ist ein enger Freund des Erstbesitzers, der den Elfer, seit er ihn neu erwarb, in 15 Jahren nicht mehr als erstaunliche 35.000 Kilometer bewegte.„Er bestellte das Auto 2005 und erhielt es 2006“ , erzählt Wüest. „Damals kostete es 400.000 Schweizer Franken und war vermutlich das schnellste, aberwitzigste und das beeindruckende Auto auf dem Markt. Selbst nach heutigen Maßstäben ist das Auto völlig verrückt. Man kann sich gar nicht vorstellen, wie die Wirkung 2006 gewesen sein muss.“
„Seither wurde es sowohl von RUF wie auch von Porsche bestens gepflegt. Obwohl es jetzt moderne Sportwagen gibt, die es mit dieser Leitung aufnehmen können, beruht das Alleinstellungsmerkmal dieses RUF in der Verarbeitungsqualität und der schieren, jede Faser des Körpers ergreifenden Power.“ Keiner sollte das besser wissen, als Wüest selbst, denn ist in den letzten Wochen über 1.500 Kilometer mit dem RTurbo gefahren. Sein Ziel waren die Serpentinen der Bergstraßen, dort, wo sich dieser Turbo von nichts und niemand einfangen lässt.
„Dieses Auto erreicht im sechsten Gang unglaublich schnell eine von GPS verifizierte Topspeed von 344 Stundenkilometern – und da trifft der Motor auf den Drehzahlbegrenzer“, berichtet Wüest. „Doch abgesehen von der Optik und der Kraftentfaltung ist dieser RUF-Elfer von dem außergewöhnlichen Handwerk und der Verarbeitung geprägt. Alles funktioniert perfekt, er fährt sich, als hätte er gestern erst das Werk verlassen und der Innenraum zeigt keinerlei Gebrauchsspuren.“ Kann man sich einen aufregenderen Himmel vorstellen, als jenen, in den man hinaufblickt, wenn man in diesen RTurbo als glücklicher neuer Besitzer einsteigt?
Fotos: Rémi Dargegen © 2020