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Andrea Zagato blickt zurück auf 100 Jahre Design-Avantgarde

Zu den wichtigsten Jubiläen in 2019 gehört der 100. Geburtstag von Zagato, jenes Mailänder Designstudio, das über 440 bestechende und polarisierende Autos geformt hat. Im Stammsitz baten wir Andrea Zagato als Chef in der dritten Generation ein Jahrhundert Avantgarde Revue passieren zu lassen.

Wundersam verrückt oder auf verrückte Art wundersam? Egal, wie man über Zagatos kühne Schöpfungen denken mag, so bleibt die hundertjährige Geschichte des Designstudios unbestritten glanzvoll und erntete weltweit Anerkennung und Begeisterung. Erst letzte Woche versammelten sich beim Concorso d'Eleganza Kyoto 33 Fahrzeuge mit Zagato-Karosserie, die vom geradezu schmerzhaft schönen Alfa Romeo TZ1 bis zum äußerst bizarren Autech Stelvio reichten und läuteten damit auf dem malerischen Gelände vor Schloss Nijo die Feierlichkeiten zum 100. Bestehen ein.

Bevor wir nach Japan reisten, einem Land, dessen Sammler Zagato besonders in Ehren halten, besuchten wir den beeindruckenden Stammsitz mit Museum nördlich von Mailand und trafen Andrea Zagato, Sohn von Elio und Enkel des Gründers Ugo, gemeinsam mit seiner Frau Marella Rivolta Zagato. Es war schwer, sich von den fantastischen Exponaten im vom Licht erfüllten Gebäude weg zu reißen, denn wir entdeckten beispielsweise den Alfa Romeo 6C Gran Sport Testa Fissa 1500, der sich 1934 den Klassensieg bei der Mille Miglia sicherte genauso wie den einzig erhaltenen Lamborghini L147 Canto aus dem Jahr 1998. Vor dieser Kulisse baten wir Andrea, uns über die reichhaltige Geschichte, die grundlegenden Werte und Charakteristiken dieses Familienunternehmens zu erzählen und einen Blick auf die nächsten 100 Jahre zu wagen. Freuen Sie sich auf eine fesselnde Lektüre!

Könnten Sie uns zunächst über die Ursprünge von Zagato erzählen und wie es seinen Ruf erwarb?

Ugo Zagato startete 1919 seine Karriere als Karosseriebauer, als er nach vier wichtigen Lehrjahren bei der Officine Aeronautiche Ansaldo-Pomilio sein eigenes Unternehmen in Mailand gründete - ein Atelier für „Konstruktion und Reparatur von Automobil- und Flugzeugkörper”. Er hatte die kühne Vision, die anspruchsvollen konstruktiven Techniken der Luftfahrtindustrie, die Leichtbau mit Festigkeit verbanden, in den Automobilbau zu übertragen.

Damals waren die Autos wuchtig und schwer - sie in Leichtbauweise zu konstruieren, mit einem Rahmen aus Aluminiumblechen wie er bei einem Flugzeugrumpf üblich war - das war die eigentliche Revolution, die Zagato angestoßen hat. Dieser komplett neue Ansatz hat nicht nur zu einem Wandel im Geschmack geführt. In Europa zumindest führte das auch dazu, dass Funktion von nun an eine wesentliche Rolle im Autodesign spielen sollte.

Wie hat sich der Karosseriebau nach dem Zweiten Weltkrieg verändert und wie hat sich Zagato diesen Wandel zu Eigen gemacht?

Nach dem Krieg führte die Entwicklung des Monocoque dazu, dass gut 90 Prozent der Karosseriebauer von der Bildfläche verschwanden. Jene, die sich hielten, wurden quasi Monteure, die spezielle Karosserien wie Coupé oder Spider für namhafte Marken entwarfen und herstellten. Diese Modelle waren die Protagonisten eines neuen Aspekts in der Industrieproduktion, denn wo sie einst durch ihre eigenen Spezialkarosserien berühmt geworden waren, bauten sie nun Sonderanfertigungen.

Zagato konnte sich auf einen elitären Kreis von Connaisseuren verlassen. Es waren echte Enthusiasten, die sich für ein Fahrzeug mit dem wie ein Blitz geformten „Z” entschieden, weil sie vor allem das Design und die Funktionalität begeisterten, unabhängig von der Motorisierung und anderen technischen Komponenten. Als japanische Hersteller in den achtziger Jahren lean production einführten, wusste ich, dass nun eine Ära zu Ende ging und, dass wir unser Augenmerk auf Design, Engineering und auf das Angebot von hochwertigen, einzigartigen und speziellen Schöpfungen für unsere treuesten Kunden richten sollten. 

Was sind für Sie die fundamentalen Charakteristiken eines von Zagato entworfenen Autos?

Was Zagato auszeichnet, ist die Verbindung zu angesehenen sportlichen Marken und Partnerschaften, die direkt mit den Gründern geschlossen wurden. Deswegen hat jede Ikone viele Geschichten zu erzählen und birgt etliche lustige Anekdoten. Die Charakteristiken eines Zagato-Designs - das sich übrigens auf Coupés, Spider und Speedster beschränkt - sind unverkennbar  und unterscheiden sich sehr stark von den ursprünglichen Serienfahrzeugen: kompakte Formen, weiche aber gespannt wirkende Volumina wie man sie aus dem Flugzeugbau kennt, das verkürzte Kamm-Heck und natürlich das double bubble-Dach. Zagato folgt dem rationalistischen Credo, das heißt, Volumen haben Vorrang vor Details und die Oberflächen keine Unterbrechungen. Weniger ist mehr, und bellezza necessaria - die „essentielle Schönheit” muss dabei erreicht werden. 

Ihre vermutlich beständigste Beziehung war die mit Aston Martin - wie entstand sie?

Unsere erste Begegnung mit Aston Martin fand 1960 dank eines gemeinsamen Freundes auf dem Genfer Autosalon statt. Seit 1957 arbeitete Zagato mit AC Cars und Bristol. Beim Salon wurden David Brown und John Wyer, der technische Direktor von Aston Martin Lagonda, auf den Bristol 407 GTZ und die Alfa Giulietta SZ aufmerksam. Zagatos technischer Direktor Gianni Zagato, der erfreulicherweise auch Englisch sprach, besiegelte noch während der Messe bei einer Flasche Whisky das Geschäft. 

Drei Aston Martin-Chassis - darunter ein Rennsport-Prototyp - wurden nach Mailand geschickt, um rechtzeitig zur London Motor Show im Oktober des Jahres mit GT-Karosserien ausgerüstet zu werden. Die Aufgabe von Carrozzeria Touring bestand darin, Turismo-Karosserien zu entwickeln, jene von Zagato darin, Gran Turismo-Körper zu erschaffen. Der von Touring geformte DB4GT war folglich für den Renneinsatz nicht leicht genug und Aston wollte einen Gran Turismo im Geist von Zagatos berühmten Schöpfungen aus den fünfziger Jahren. Der DB4GT Zagato könnte durchaus als Spitzenleistung von Zagatos Gran Turismo-Epoche der Nachkriegszeit gelten.

Wie denken Sie über Astons neuerliche Produktion des DB4GT Zagato als Teil der DBZ Centenary Collection?

Marella und ich stimmten unter einer Bedingung zu, als uns Paul Spires besuchte, um das DB4GT Zagato Continuation Project zu besprechen: Wir würden ihm nur unseren Segen erteilen, wenn wir eines der Autos für uns selbst haben dürften. Ich habe seit ich ein Kind war davon geträumt, eines dieser Meisterwerke selbst zu fahren und zu besitzen. Jetzt, nach so vielen Jahren, haben wir endlich einen für unsere Sammlung. Ein Traum ist in Erfüllung gegangen.

Welches sind die bedeutendsten Zagato-Autos der letzten 100 Jahre?

Ich glaube, dass heute Aston Martin so wichtig für Zagato ist wie Alfa Romeo in den ersten fünfzig Jahren des Unternehmens. Alfa schenkte meinem Großvater weltweite Berühmtheit und ermöglichte ihm, Partner von Enzo Ferrari in der Scuderia zu werden. Andererseits hat die erfolgreiche Zusammenarbeit mit Aston Martin bis heute beim Mehrwert durch unsere Signatur auf Sammlerautos Maßstäbe gesetzt.

Und Ihre ganz persönlichen Favoriten?

Der Alfa Romeo 2300 8C Aerodinamicaaus dem ersten Viertel unserer hundertjährigen Geschichte, der Aston Martin DB4GT Zagato aus der zweiten und der Lamborghini Raptor aus der dritten.

Wer waren Zagatos einflussreichste Designer?

Abgesehen von meinem Großvater und Onkel Gianni, die an der Entwicklung der figurini  im Maßstab 1:10 und der piani di forma - Formvorlagen - im Maßstab 1:1 bis zum DB4 Anteil hatten, wären das aus meiner Sicht Celeste Zoppi, der in den fünfziger Jahren gewirkt hat, Ercole Spada von 1961 bis 1969, Giuseppe Mittino von 1968 bis in die achtziger Jahre und schließlich Norihiko Harada, der Designer, der ab dem Raptor mit nunmehr über 25 Jahren am längsten in unserem Team dabei ist. 

In den Achtzigern und Neunzigern war Zagato vor allem für sein eigenwilliges Design berühmt - wie kam es dazu?

Ich glaube, dass eines der wichtigsten Merkmale von Zagato die Beständigkeit ist. Vom Funktionalismus der zwanziger, dreißiger und vierziger Jahre bis zum Rationalismus ab den fünfziger Jahren wurden Zagatos Modelle immer vom Begriff der bellezza necessaria geprägt. Als Alfa Romeo 1935 vom italienischen Staat gekauft wurde und in der Folge das Design zur schwerfälligen Werbung für das Regime geriet, hielt Zagato dennoch treu an sein eigenes Credo und stärkte die bestehenden Partnerschaften mit Marken wie Lancia, Fiat und Maserati.

Diese Situation endete nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Einführung des 1900, der Giulietta und der Giulia. Als diese wieder in Karosserien von Zagato schlüpfen durften, waren sie auch wieder der perfekte Ausdruck von unserer Markenphilosophie bellezza necessaria. Als sich in den achtziger und neunziger Jahren ein eckiges und geometrisches Formenrepertoire durchsetzte, wollte sich Zagato ebenfalls nicht dem Trend anpassen und blieb bei der hauseigenen Handschrift. Im Vergleich zu seinem Basisfahrzeug wirkt der Aston Martin V8 Vantage Zagato auch heute noch sehr modern, dasselbe sieht man auch beim Alfa Romeo SZ.

Könnten Sie uns erklären, wie Zagato heute arbeitet?

Heute ist Zagato ein „Total Design Studio”, das heißt, unsere Aufgaben umfassen weit mehr, als die Herstellung von Sonderanfertigungen für Luxus-Sportwagen. Tatsächlich ist Zagato heute in der Lage, schlüsselfertige Projekte für den Automobilsektor, den Bereich neue Mobilität, Transportwesen und Industrie zu liefern. Zu letzteren zählen auch Firmenimage, Strukturen, Kommunikation, der Entwurf von mood boards und grafischen Tabellen, um gerade auch Start-ups dabei zu unterstützen, ihre „individuelle Stimme” zu artikulieren. Zagato ist auch eine Beratung für Product Marketing und Placement, außerdem bewegen wir uns auf dem Feld der Elektromobilität und in der Entwicklung des autonomen Fahrens. 

Können Sie uns schon verraten, wo und wie Sie diesen 100. Geburtstag feiern werden?

Der Auftakt zum Jubiläumsjahr war der Concorso d´Eleganza Kyoto am letzten Wochenende, wo 33 Autos mit Zagato-Karosserien ausgestellt waren, die ein Thema des hundertjährigen Bestehens ausdrückten: die langlebigen Beziehungen des Mailänder Designstudios mit einigen der bedeutendsten Marken. 

Unter diesen Partnerschaften war die bedeutungsvollste in der ersten Hälfte von Zagatos Jahrhundert, jene mit Alfa Romeo. In der zweiten Hälfte unsere Zusammenarbeit mit Aston Martin. Wir feiern die ersten sechs Monate von 2019 gemeinsam mit Aston Martin, die zweite Jahreshälfte wird Alfa Romeo gewidmet sein. Die letzteren Events werden ab Oktober beginnen und bis zum April 2020 fortgeführt - dann wird sich unser 100. Jubiläum glücklich mit Alfas 110. Geburtstag überschneiden. Wir feiern unser denkwürdiges Jahrhundert mit über 20 Veranstaltungen weltweit. Die nächste steht schon im Mai bei der Mille Miglia auf dem Plan.

Was würde Ihr Großvater Ugo über die globale Resonanz und Begeisterung für Zagato denken?

Er wollte, dass sich sein Unternehmen alle zehn Jahre erneuert. Wir haben entdeckt, dass in den 100 Jahren kontinuierlichen Autodesigns mehr als 440 Modelle für 44 unterschiedliche Hersteller entwickelt worden sind. Außerdem entdeckten wir, dass unser Jahrhundert in zehn thematisch individuelle Dekaden unterteilt werden kann. Ugo wäre auf seine Familie stolz gewesen.

Ihre Frau Marella ist die Enkelin des großen Renzo Rivolta - wie ist das, wenn sich zwei bedeutende italienische Markennamen vereinen und welche Folgen hat das für Ihr Business?

Ich bin meiner Frau für die schlichte Tatsache dankbar, dass unser Unternehmen heute noch besteht und jetzt ins 100. Jahr blickt. Das Stilgefühl einer Frau lässt sich an jedem Zagato-Produkt, jeder Publikation und dem Image ablesen - es ist ihre Handschrift. Natürlich muss ich auch Nori Harada für seine Fähigkeit, unsere Konzepte zu übersetzen und für die Kohärenz und Beständigkeit unserer Designsprache zu sorgen, danken. Aber durch Marellas Geschmack, Ausdruck und Art Direction hat sich unser Unternehmen seit ihrem Eintritt definitiv gesteigert. Zu unserem 21. Hochzeitstag habe ich beschlossen, an ihrer Marke zu arbeiten und ihre Familiengeschichte so zu unterstützen wie sie es so wunderbar für die Zagatos geleistet hat. Also haben wir unseren Respekt für Iso Rivolta durch eine Hommage für die Marke im kultigen Videospiel „Gran Turismo” ausgedrückt - eine Geste, die über 150 Millionen junge Spieler weltweit erreichte. 

Dürfen wir mehr Autos der Ikone Iso Rivolta in der Folge des atemberaubenden Vision Gran Turismo erwarten?

Unbedingt! So, wie wir es mit Ferrari, Bentley, Lamborghini und Porsche vorgeführt haben, werden wir auch Iso Rivolta mit einer Zagato-Edition von 19 Autos würdigen. Als Inspiration dient der Grifo A3/C oder die Corsa-Version, die in Le Mans war. 

Wie unterscheiden sich die Ansprüche und der Geschmack von Kunden, die heute Sonderanfertigungen in Auftrag geben im Vergleich zu vor 60 Jahren?

Vor 60 Jahren waren unsere Kunden gentlemen drivers, heute sind es Sammler. Was sie vereint, ist der sichere Blick für Design und eine Leidenschaft für Sportwagen. Aber heute genießen wir den Vorteil, dass wir nicht super schnell sein müssen. Mit dieser Freiheit können wir die Qualität erhöhen, da wir jedes Fahrzeug trocken montieren können, ehe wir mit dem finalen Zusammenbau beginnen.

Wir werden Sie die Legende Zagato für die nächsten 100 Jahre bewahren und fortführen?

Es hat 100 Jahre gedauert, diesen Status zu erreichen. Ihn zu verlieren, braucht viel weniger Zeit. Ich glaube, dass Beständigkeit das Rezept darstellt, um unseren Charakter und unseren Ruf zu bewahren.

Fotos: Mathieu Bonnevie für Classic Driver © 2019 

Sie finden eine breite Auswahl an von Zagato geschaffenen Autos zum Verkauf im Classic Driver Markt. Jedes für sich wäre ideal, um das 100. Jubiläum des bahnbrechenden Mailänder Designhauses angemessen zu feiern.