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Magazin

Dieses Buch ist ein schwergewichtiger Tribut an die schönsten Bergstraßen der Welt

Das neue Buch «Mountain Roads» von Stefan Bogner und Jan Baedeker ist eine 496 Seiten starke Hommage an die Schönheit der Haarnadelkurven und Serpentinen. Ab heute kann man das großformatige, sechs Kilo schwere Mammut-Buch im Classic Driver Shop. Wir veröffentlichen einen exklusiven Auszug.

Der Berg war gestern da. Und wird es auch morgen sein. Wir sind ihm gleich. Sein Zeitgefühl ist erdgeschichtlich, der Mensch kaum mehr als ein Nachtfalter, gelandet auf seinem breiten Rücken vor einem Augenblick: Die prähistorischen Jäger, die römischen Legionen, die Pilger und Saumhändler des Mittelalters, die Straßenbauer mit ihrem Dynamit, die königlichen Kutschen, die schnaufenden Dampflokomotiven, die frierenden Soldaten mit ihren Gewehren, die ersten Automobilisten gehüllt in Wolken aus Staub und das Echo ihrer Motoren, die Radler mit ihren Zwiebelwaden und engen Hosen, die hupenden Postautos, Wohnmobile und Reisebusse, die animalisch dröhnenden Rennmaschinen – dem Berg sind sie alle einerlei. Saumpfade, Kriegspisten, Handelswege, Panoramastraßen: bloss flüchtige Schatten auf seiner Elefantenhaut. Wenn eine Welle aus Stein sich türmt und bricht, in der bedächtigsten aller Zeitlupen, eine Milliarde Jahre lang – was gilt dann ein Jahrzehnt, ein Jahrhundert, ein Jahrtausend? Der Berg steht still im tosenden Meer der Zeit. 

Der Aufstieg und Fall von Zivilisationen, die Geschichte von Fortschritt und Technik in der modernen Welt – für die menschliche Ambition war das Gebirge stets Widersacher und Ansporn zugleich. Indem es Täler und Dörfer, Länder und Kulturen voneinander trennte, forderte es uns heraus. Und wir fanden immer einen Weg. Einst brauchten wir Wochen, um die eisigen Höhen zu überwinden. Stapften in Felle gewickelt durch Eis und Schnee. Wir fürchteten Bären und Wölfe, zahlten murrend den Wegzoll, hofften auf das Flackern der Lampe und das rettende Hospiz, ganz oben am Pass. Nun sausen wir in Ledersesseln durch neonhelle Röhren im Granitgestein, durchmessen ganze Gebirgsmassive in wenigen Minuten, oder fliegen wohl klimatisiert über schneebedeckte Gipfel hinweg. Die Berge, die uns einst hoch wie der Himmel selbst erschienen, haben nicht nur ihren Schrecken verloren – sie wurden verkehrstechnisch dem Erdboden gleich gemacht. 

Und die Alpenstraßen? Von Generationen genialer Baumeister über Schluchten und Gipfel gespannt, diese in Stein gehauene Etappensiege gegen die Übermacht der Natur? Sie sind zu Blinddärmen unserer Verkehrsnetze geworden, ephemere Spuren vergangener Mobilität. Doch nun, da die Ingenieure unserer Zeit die Berge lieber durchbohren statt sie zu überwinden, werden die alten Serpentinenstraßen bald aufgegeben, gesperrt, um die Bergwelt zu schützen vor unserer hochmotorisierten Vergnügungssucht? Wie werden unsere Kinder, Enkel, Urenkel diese Bergwelten erfahren? Noch immer als Teil ihrer physischen Existenz – nur eben von Strom, Wasserstoff, Synthetic Fuel statt Benzin durch die Kurven getrieben? Oder bloß virtuell? Als Stellvertreter auf ihren hochauflösenden Displays? Als Artefakte längst vergessener Epochen, ohne eigene Erinnerungsbilder, ohne Bezug zu ihrer Lebensrealität? Und welche Rolle werden die Berge noch spielen im übernächsten Menschheitskapitel, in hundert, ja tausend Jahren?

Die Zukunft der Berge bleibt Fiktion – und so richten wir unsere Aufmerksamkeit auf die Gegenwart: Oft ist es gerade die Nostalgie des Nutzlosen und Irrelevanten, die auf uns eine besondere Anziehungskraft ausübt. Ihrer ursprünglichen Funktion beraubt, tritt immer mehr die ästhetische Dimension dieser Bergstraßen und Alpenpässe hervor. Ihre Schönheit, ihr Versprechen von Entschleunigung und Authentizität. Und so ändert sich auch unser Blick. 

Die Alpenlandschaften, die Stefan Bogner in seinen Fotografien entwirft, haben nicht viel zu tun mit den sattgrünen Blumenwiesen und sonnenbeschienenen Skipisten aus den traditionellen Reiseprospekten der Tourismus- und Marketingbüros. Mit ihren braun ausgedörrten Wiesen und Matten, fleckigen Schneefeldern, von Moosen und Flechten überzogenen Felswänden, verblichenen Asphaltbändern, Nebelmeeren und Wolkenfetzen – immer wieder Wolkenfetzen – folgen seine Sujets und Bildkonstruktionen vielmehr dem Vorbild der Romantiker, die im 19. Jahrhundert die Alpen als transzendentales Tor zwischen Mensch (klein, endlich) und göttlichem Universum (ziemlich gross, eher unendlich) entdeckten. Das Erhabene dieser gewaltigen, schroffen, von der Bewegung der Kontinente in Jahrmillionen geformten und von Menschen ungezähmte Gesteinsmassen und Formationen – the sublime, wie es in englischen Caspar-David-Friedrich-Schauen und Ausstellungskatalogen so schön heißt – bläst einem auch beim Betrachten der Bognerschen Bergwelten kalt in den Nacken. 

Doch der Wanderer über dem Nebelmeer – dem Betrachter abgewandt, den Blick in die Unendlichkeit gerichtet – taugt heute nur noch bedingt zur Identifikationsfigur für weltschmerzgeplagte Junggesellen auf Sinnsuche. Und so hat sich Stefan Bogner den Alpen genähert, wie wir alle sie am besten kennen: aus der Straßenperspektive. Es macht den besonderen Reiz seiner zahlreichen Alpenbücher und der Magazinreihe Curves aus, dass man als Leser immer den Blickwinkel des Fahrers hinter dem Steuer des Sportwagens, hinter dem Lenker des Rennvelos einnimmt. Dass die Autos und Rennräder in den Bildern gar nicht oder nur sporadisch, als fernes menschengemachtes Objekt in einer überwältigenden Landschaft, zu sehen sind, mindert den Eindruck nicht – imaginiert sich der Betrachter sein liebstes Transportmittel doch einfach selbst hinzu. Wie in einem Daumenkino kann man sich so über die eindrucksvollsten Gebirgsstraßen und Alpenpässe blättern, Kurve um Kurve den Gotthard, das Stilfserjoch, die Furka in ihrer existentiellen Bildgewalt erfahren, obwohl man doch gerade mit einem Glas Lagrein in der Hand auf dem Sofa fläzt. 

Diese klassischen Point of View-Einstellungen, die einem die Identifikation mit dem Protagonisten, diesem unsichtbaren Kurvenjäger, ermöglichen, sind natürlich alte Bekannte – wir kennen sie nur allzu gut aus den Filmen von Alfred Hitchcock, Jonas Åkerlund, Gaspar Noé. Und vielleicht funktioniert sie als Stilmittel ja deshalb so gut, weil auch zahlreiche moderne Alpenpässe des 20. Jahrhunderts wie etwa der Sustenpass oder die Grossglockner Hochalpenstrasse als Wahrnehmungserlebnisse nach cinematografischem Vorbild, als schnelle Abfolge von Licht und Schatten, von Nah- und Weitsicht, als visuelle Achterbahnfahrten gebaut, ja inszeniert wurden. Der Automobilist, fest in seinen Sportsitz geschnallt, den Blick auf das Geschehen vor seiner Scheibe gerichtet, und der Kinobesucher in seinem Sessel – sie sind Kinder derselben Epoche. Und Brüder im Geiste eines Mediendispositivs, einer blickführenden Architektur, die ihre Wahrnehmung vollends bestimmt. 

So kann, wer einmal James Bonds wilde Fahrt über den Furkapass auf der Leinwand verfolgt hat, die Straße kaum mehr befahren, ohne sich die schnellen Schnitte, die quietschenden Reifen, die rasanten Perspektivwechsel hinzuzudenken. Der subjektive Blick über das Steuer schafft Authentizität – und doch sind und bleiben die dargestellten Landschaften natürlich immer fiktionale Konstruktionen, Fantasiegebilde. In Stefan Bogners Werk gesellt sich deshalb zum Point-of-View noch eine weitere, relativierende Perspektive hinzu: Der Blick aus der Luft, der jede reale Erfahrung übersteigt und durchdringt. Von oben betrachtet, werden aus gegenständlichen Bewegungsräumen plötzlich abstrakte Kompositionen, in denen sich oftmals erst das Spiel zwischen Straßenverlauf und alpiner Topografie und die Kunstfertigkeit der Architekten und Ingenieure offenbart. Wie gewagt sich die Tremola die steile Bergflanke hinaufwindet, wird eben erst bewusst, wenn man sie aus der Luft betrachtet. Das Spannungsverhältnis entsteht hier zwischen erfahrbarer Wirklichkeit – dem Duft nach Schnee, Stein und Gipfelbratwurst, der einem aus den Bildern praktisch in die Nase steigt – und dem metaphysischen, auktorialen Blick von oben.

Man sieht Stefan Bogners Luftaufnahmen ihren Entstehungskontext nicht auf den ersten Blick an. Und doch ist er für die Wirkung der Bilder entscheidend. Es sind keine Satellitenaufnahmen, in denen auch die steilsten Bergspitzen glattgebügelt werden auf zwei Dimensionen. Auch keine Drohnenbilder, die oftmals so unwirklich erscheinen in ihrer perspektivischen Perfektion. Vielmehr lässt es sich der Fotograf nicht nehmen, für seine Arbeit immer wieder in den Hubschrauber zu steigen, die Sicherungsgurte einzuklinken, die Mütze über die Ohren zu ziehen und dort oben, im Sturm der Thermik und Lärm der Rotoren, die Türe aufzuschieben und sich herauszuhängen mit seiner Kamera, immer auf der Suche nach dem besonderen Moment, dem außergewöhnlichen Blick, dem allerletzten Moment, bevor die regenschwarze Wolkenfront den Blick auf die Serpentinen unter ihm vollends versperrt und den Pilot zum Umkehren zwingt. 

Der logistische Aufwand, den Stefan Bogner für seine Bergbilder betreibt, ist beachtlich. Ebenso der handwerkliche Anspruch an Apparatur, Linsen, Bearbeitung und Druck. Dabei geht es jedoch weniger um die perfekte Fotografie, das ideale Zusammenspiel aller Elemente, the moment when the stars align. Sondern vielmehr um den Reiz des Unerwarteten, die Magie des Zufalls, was manchmal eben mehr ergibt als die Summe aller Teile. So kehrt der Fotograf immer wieder in die Berge zurück, überfliegt Gipfel um Gipfel und Tal um Tal, mit Helikopter und Flugzeug, im Sommer wie im Winter. Er dokumentiert menschenleere Passhöhen im Licht der ersten Sonnenstrahlen oder Spitzkehren im Winterschlaf, unter weißen Lawinenlaken bloß schemenhaft zu erkennen. Wie die tibetischen Pilger ihren Mount Kailash auf dem Weg zur Erleuchtung auf Knien wieder und wieder umrunden, zieht auch Stefan Bogner seine Kreise um die ihm heiligen Berge, immer und immer wieder. Und man versteht: Hier geht es nicht ums Abhaken einer Bucket List, die Seven Summits eines Bergfotografen. Sondern um die Liebesbeziehung eines Menschen mit einer Landschaft. Es ist die Geschichte von einem, der sich einfach nicht sattsehen kann: An Gipfeln und Tälern. Am Spiel des Wetters. Den Farben, Strukturen. Der Topografie. Der Strasse. Den Kurven und Kehren, Rampen und Galerien, Brücken und Tunnels. Und der sich immer wieder überraschen lässt von seinem eigenen Blick auf diese erhabene, atemberaubende, ewige und doch so fragile Welt der Berge. 

Das neue Buch "Mountain Roads" von Stefan Bogner und Jan Baedeker können Sie jetzt im Classic Driver Shop bestellen.