Singer Vehicle Design hat die Kunst des Custom Cars auf ein neues Level gehoben. Die kalifornische Schmiede steht längst für mehr als nur die Restaurierung, Modifizierung und Veredelung eines Porsche 911. Sei es der einfache Fan oder der privilegierte Sammler – kommt die Sprache auf Singer, hat jeder etwas zu sagen, über die Technik, das Styling oder die Performance. Inzwischen schwärmt man über die Autos, als wären sie mystische Figuren. Automobile Legenden, geboren aus dem Drang nach Perfektion und ein Symbol dessen, was man aus einer bescheidenen Vorlage so alles machen kann. Nun werde ich nicht nur von einem, sondern gleich zwei dieser außergewöhnlichen Autos begrüßt, was ihre Aura auf einen Schlag verdoppelt.
Das Stilfser Joch als Highlight
Unsere Fahrt beginnt in Pontresina, nur einen Steinwurf entfernt vom berühmten St. Moritz. Auf uns wartet eine sechs Stunden und gut 250 Kilometer lange Rundfahrt auf Straßen, die der Schweiz den Ruf eines Kurveneldorados eingebracht haben. Nach einem kurzen Abstecher auf italienisches Gebiet steht am Ende und als Highlight die Königin aller mit einem Auto befahrbaren Alpenpässe an: das Stilfser Joch.
Mit Moskau und Monaco
Unsere Autos für diese alpine Odyssee hören auf die Namen Monaco und Moscow, in traditioneller Singer Manier so benannt nach den Standorten ihrer heimischen Garagen. Beide Elfer sind wohl bekannte Exemplare. Der mitternachtsblaue Monaco ist ein gut dokumentierter Globetrotter, der schon um die halbe Welt transportiert worden ist, um drohenden Trennungsängsten seines Singer-infizierten Halters vorzubeugen. Der Moskauer in Lavender Metallic ist das erste jemals von Singer getunte Allradmodell, es trägt einen Nickel-beschichteten Dachgepäckträger, auf dem der Besitzer seine Snowboards verstaut. Abgesehen vom unterschiedlichen Antriebsstrang teilen sich beiden unter der Haut viele Gemeinsamkeiten. Wie einen 4,0-Liter-Motor, ein Sechsgang-Getriebe, ein Ohlins-Fahrwerk, ein rotes Brembo-Bremspaket und – als Must-have-Extra für wohl die meisten Singer-Jünger – einen zentralen Tankeinfüllstutzen in der Fronthaube.
Born to be wild
Man könnte trefflich stundenlang über weitere Details reden, doch die Autos in Bewegung zu erleben, eröffnet einen nochmals völlig neuen Horizont. Auch wenn ihr Finish weder an einen Pebble Beach Concours-Sieger noch einen nagelneuen Supersportwagen heranreicht, beeindruckt das Fit & Finish dieser Custom Cars. Doch um Missverständnissen vorzubeugen: Jedes der so liebevoll per Hand angefertigten Teile ist dazu gedacht, sich zu bewegen. Denn hier haben wir es nicht mit Designfingerübungen, Kunstwerken oder Form-über-Funktion-Sammlermodellen zu tun. Sondern mit echten Fahrmaschinen. Und wenn es jemals ein besseres Setting gäbe, um diesen Status abzuprüfen, dann sind es diese kunstvoll bis abenteuerlich in die Bergflanken geschnittenen Serpentinen und Spitzkehren.
Form und Funktion
Schaut man sich die Liste der in den Autos verbauten Teile an, könnte man die Befürchtung hegen, der Drang nach Perfektion könnte einen klinischen Beigeschmack und damit eine Schmälerung des Gesamtcharakters bewirken. So meine Gedanken, als ich die Schlüssel für Monaco in die Hand gedrückt bekomme. Zugleich geht mir das alte Sprichwort – „Treffe nie Deine Helden“ durch den Kopf, nur unterbrochen vom Ratschlag des Besitzers: „Wenn Du die Gänge nicht grundsätzlich oberhalb von 7.000 Umdrehungen wechselst, brauchst Du das Auto im Grunde gar nicht erst zu fahren.“
Nach fünf Minuten auf der Straße wird schon klar, warum die Halter unserer beiden Singer den ganzen Tag lang übers ganze Gesicht strahlen und die Bestelllisten bei Singer auch immer länger werden. Denn schon bei niedrigen Geschwindigkeiten wird solch ein Custom-Elfer zu einem wahren Biest. 80 km/h auf dem Bernina-Pass fühlen sich an wie 200 km/h durch die Eau Rouge von Spa. Dazu eine Geräuschkulisse, als würde ein getunter 991 R durch eine Tunnelröhre geschossen. Die Motorbremse erinnert an einen ausgeworfenen Anker, der am Meeresgrund einhakt, ja und der Grip der Reifen und die direkte Lenkung sind so unterhaltsam wie Vertrauen einflößend. Ähnliche Gefühle im Moscow: Der Allradantrieb bewirkt nur ein etwas verändertes Lenkgefühl, während der Boxer seine 390 PS bis zur roten Linie bei 7.200/min sehr linear auf den Asphalt schickt. Alles untermalt von einem regelrecht animalischen Soundtrack. Kein Zweifel: Diese Singer Porsche mögen auf mechanische Perfektion gedrillt sein, aber auch auf ganz viel Spaß.
Getrieben von Passion
Am Ende des Tages, wenn die unvergesslichen Eindrücke des Tages langsam einsacken, wird das Gemeinschaftsgefühl zwischen den 911er-Besitzern und dem Singer-Team deutlich. Da werden beim Abendbrot mit leuchtenden Augen Geschichten über Drifteinlagen und Tunneldurchfahrten zum Besten gegeben. Für uns jedoch steht fest: Eine unvergessliche Reise ist immer größer als die Summe ihrer Einzelteile – und das Gleiche trifft auch auf die beiden Porsche zu, die jetzt hinter unserem Schweizer Hotel stehen und langsam abkühlen.
Fotos: Tom Shaxson für Classic Driver © 2017