Pilgerfahrt
Ob man nun von London oder Luxemburg startet – eine Fahrt nach Goodwood zum Members’ Meeting, Festival of Speed oder Revival ist für uns Autoverrückte längst zu einem Ritual geworden. Selbst die endlosen Rückstaus – durchsetzt mit zahlreichen zum gleichen Ziel strebenden Klassikern – kann die Vorfreude auf das, was uns alle anlockt, nicht trüben. Doch bietet Goodwood noch mehr als nur „Motorsport“.
Zum Beispiel „Farmer, Butcher, Chef“. Das gleich neben dem Goodwood Hotel liegende Restaurant eröffnete im November 2016 und serviert preisgekröntes Fleisch vom Rind, Schwein oder Lamm. Gezüchtet werden die Tiere auf einem 1375 Hektar großen organischen Hof, der das Gebäude aus dem 18. Jahrhunderts regelrecht umgibt. Was könnte reizvoller sein, als sich bei der Fahrt in unserem wunderbaren Morgan +4 auf hoffentlich einsamen Landstraßen den nötigen Appetit zu verschaffen?
Das englische Wetter gab alles
Wie zu erwarten, „verwöhnte“ uns das launische englische Wetter mit allem, was es aufzubieten hat: Nebel, Nieselregen, Hagel und zwischendurch greller Sonnenschein – und das auch noch alles vor dem Lunch. Die Jungs von Morgan rieten uns noch scherzhaft, das Verdeck so lange unten zu lassen, bis ein möglicher Sturm von den Wetterfröschen einen Namen bekäme. Doch nach einem hartnäckig starken Regenguss, der im Fußraum eine veritable Pfütze entstehen ließ, waren wir dann doch zum Anhalten gezwungen. Als wir uns Goodwood langsam näherten und die Straßen durch wundervoll rollende Hügel führten, setzte sich die Sonne dann doch gegen die Wolken durch. Also das Dach wieder runtergeklappt – und damit den charmant-rauen Charakter des „Moggie“ wieder zu seinem Recht verholfen. Okay, der 2,0 Liter große Ford-Motor ist nicht der durchzugskräftigsten einer. Und der Abrollkomfort ähnelt eher der Schluckfähigkeit eines hölzernen Bettrahmens denn eines Autos. Doch mit dem den ganzen Körper umspülenden Fahrtwind, dem freudig spotzenden und knallenden Auspuff und anderen Verkehrsteilnehmern, die winkten, Fotos machten und Dir an Kreuzungen sogar den Vortritt ließen, war das alles verschmerzbar.
Farmer, Butcher, Chef
Nach einem kurzen Halt an der Rennstrecke – und einem zunächst nicht eingeplanten Schnappschuss auf der Start/Ziel-Geraden – folgten wir dem Knurren unserer Mägen zu Farmer, Butcher, Chef. Wo uns Tim Hassell, seit acht Jahren Geschäftsführer und der „Farmer“ im Namen des Restaurants, begrüßte. „In unseren Positionen als Bauer, Metzger und Koch setzen sich Darron Bunn, John Hearn und ich jeden Freitag zusammen, um die Verfügbarkeit von Fleisch für die kommende Woche zu besprechen. Das Thema des Restaurants ergab sich aus dem gemeinsamen Wissen um alle Aspekte des Prozesses. Ein Wissen, das eine ständig wechselnde Speisenkarte mit immer neuen und interessanten Menüs möglich macht.“
Regelmäßig wechselnde Menüfolge
Als Beispiel zu nennen wären die so genannten Butcher’s Boards. Chefkoch Bunn beschreibt sie als Gerichte, welche die gesamte Geschichte des Tieres erzählen – von der Nase bis zum Schwanz. Wir wählten das „Beef Board“ mit einer saftigen Ochsenschwanz-Frikadelle, eingelegter Ochsenzunge, Kartoffelpüree und glasiert gepfeffertem Rindfleisch. Es war so dekadent wie köstlich. „Früher lag das Augenmerk darauf, so viel wie möglich von einem geschlachteten Tier zu verwenden. Weil sich das die Leute leisten konnten“, erklärt Hassell. „Heute haben wir die Flexibilität, unterschiedliche Filets und Stücke zu verwenden, aber sie auf die jeweils gleiche Weise zuzubereiten. Es ist jeweils das, was uns gerade zur Verfügung steht, und daher ändert sich auch die Menüzusammenstellung ständig.“
Statt Turbolandwirtschaft slow-food
Nach dem Mittagessen führt uns Tim Hassell einmal um den Hof. Um uns aus erster Hand zu zeigen, wie das Vieh hier mit größtem Respekt aufgezogen wird. „Wir haben generell immer nur eine beschränkte Anzahl von Tieren hier, die wir auf wöchentlicher Basis verarbeiten können. Denn es handelt sich ausschließlich um Vieh, dass wir selbst aufgezogen haben. Unsere Kunden kommen von weiter her als das Essen, das ihnen serviert wird.“ Der Hof liefert pro Woche das Fleisch von vier Rindern, 15 Schweinen und 30 Lämmern. Alle wurden langsam aufgezogen – also keine Turbolandwirtschaft! - und mit in Goodwood angebautem Getreide gefüttert. Das gewonnene Fleisch, der Käse, die Milch und sogar das Bier werden auch nach extern vertrieben. Bis hin zu noblen Adressen wie das Ritz Hotel und den RAC Club in London.
Wenn Sie also am Sonntagmorgen Ihren klassischen Wagen für einen Trip aufs Land aufwärmen, fahren Sie doch einfach mal schnell zum Lunch nach Goodwood. Das von Cindy Leveson gestaltete Interieur von Farmer, Butcher, Chef ist – und wir können das bestätigen – bei Regen ebenso einladend wie bei Sonne. Und das Essen sowieso... Schließlich beträgt der Weg von der Weide bis zur Gabel nur knapp 275 Meter...
Fotos: Robert Cooper für Classic Driver © 2017