Auf die Gefahr hin, dass ich mich bei einem Teil der Leserschaft unbeliebt mache: Formel 1 ist langweilig. Ich meine die Formel 1 von heute. Und zwar verglichen mit der Formel 1 von früher. Das sind zwei Welten ganz unterschiedlicher Ausprägung. Vettel, Webber, Hamilton mögen A-Promis oder meinetwegen auch Stars sein. Helden? Eher nicht. - Wie komme ich zu dieser Auffassung? Ganz einfach: da, wo alles bis auf Letzte geplant und vom Computer berechnet ist, Improvisation belächelt wird und das beinah einzige Unbill das Formel 1 Reglement selbst darstellt, da fehlt es am Mythos, am Authentischen, am Verrückten und Wahren.
Unglaubliche Männer in noch unglaublicheren Boliden
Damals in den 1960er und 70er Jahren des Motorsports war das ganz anders. Die automobile Alltagsrealität bewegte sich noch irgendwo zwischen Audi 80, Renault R4, Mercedes 200 D und VW Käfer. Mehr als 100 PS unter der Haube wurden mit hochgezogener Augenbraue und einem anerkennenden Zunge schnalzen quittiert. Und dann gab es da diese unglaublichen Männer, die in noch unglaublicheren Boliden mit irrwitzigem Tempo über die Rennstrecken dieser Welt donnerten. Ohne Auslaufzone, Kiesbett oder Safety-Car. Die Kurse waren im besten Sinne lebensgefährlich - mit Steinmauern und starren Leitplanken als Begrenzung. Und die Rennwagen waren kaum sicherer. Ground-Effect? Abtrieb-Dynamik? Fehlanzeige. Es waren Boliden mit hochgezüchteten V8- oder V12-Motoren im Heck und einem Tank voll explosiven Kraftstoff als Ladung.
Der Stoff für Legenden
Das ist der Stoff für Legenden. Unvergessen bleibt beispielsweise die Aufholjagd eines gewissen John Surtees im Jahre 1964 in Mexiko City. Er startete beim großen Finale auf Ferrari gegen Jim Clark im erfolgreichen Lotus und Graham Hill auf BRM. Die Vorgaben waren klar: Clark musste siegen, um den Weltmeister-Titel zu erlangen. Surtees hätte Rang zwei genügt, Hill sogar nur der dritte Rang. 65 Runden waren zu fahren. Jim Clark führte das Rennen souverän an und Surtees-Teamkollege Lorenzo Bandini auf Rang drei heftete sich an Hills BRM. Das Schicksal nahm seinen Lauf. Bandini touchierte Hill. Der fiel prompt aus. Doch auch Jim Clark musste drei Runden vor dem Ziel kapitulieren, Bandini ließ Surtees passieren und dieser konnte sich hinter Dan Gurney auf Rang zwei einreihen und damit den Weltmeister-Titel sichern. Die Fans stürmten die Strecke, obwohl andere noch fuhren. Alles haltlos. Graham Hill überreichte Bandini später ein Buch mit dem Titel "Wie lerne ich das sichere Auto fahren".
Zwischen Triumph und Tragödie
Doch so glimpflich verliefen Rennen selten. Alleine im Jahr 1968 verloren mit Jim Clark, Mike Spence, Ludovico Scarfiotti und Jo Schlesser vier bekannte Formel 1 Piloten ihr Leben auf der Strecke. Beim GP in Monaco kamen im selben Jahr von 16 Startern nur fünf ins Ziel. Immer wieder brachen Achs- oder Radaufhängungen. Mit fatalen Folgen auch für nachfolgende Fahrer und Zuschauer. Beim darauffolgenden Rennen in Spa-Francochamps, dem Grand Prix von Belgien, gewann Bruce McLaren sein erstes Rennen, weil Jackie Stewart in der letzten Runde der Kraftstoff ausging. Ein Triumph, auf den die Tragödie folgte: Bruce McLaren starb nur zwei Jahre später in Goodwood. Dabei waren sich die Fahrer des enormen Risikos sehr bewusst. Sie waren keine Hasardeure, sondern kämpften unablässig für mehr Sicherheit.
Dass ein Wagen wegen Benzinmangel liegenblieb kam vor, dass der Kraftstoff in Flammen aufging auch. Feuer war damals der ärgste Feind der Formel 1 Piloten. Schlesser kam darin um, Lauda 1976 beinahe. Am Nürburgring. Das war die berüchtigste aller Strecken. Der Kurs in Monza, er verzeichnete immerhin drei tödliche Formel 1 Unfälle, schien beinahe harmlos dagegen. Die Piloten protestierten vorher schon. Sie waren das russische Vollgas-Roulette um Leben und Tod leid. 1969 kam es zum ersten Fahrerstreik, weil Jackie Stewart gegen die lausigen Sicherheitsmaßnahmen beim Ardennen-Kurs revoltierte. 1970 folgte der nächste Boykott. Nach dem tödlichen Unfall von Piers Courage in Zandvoort forderten die Fahrer eine Entschärfung der "grünen Hölle". Das war so schnell nicht möglich und so verlegte man den GP kurzerhand auf den Hockenheimring. Doch der Tod schlug immer wieder zu und forderte weitere Opfer: Jochen Rindt, Jo Siffert oder Ronnie Peterson, um nur drei weitere bekannte Fahrer zu nennen. Watkins Glen, 1973: Francois Cevert, Teamkollege von Jackie Stewart, verlor auf der Rennstrecke sein Leben. Stewart verzichtete postwendend auf den Start und wandte sich trauernd von der Formel 1 ab. Ein starkes Zeichen.
Zeugen einer einzigartigen Epoche
Diejenigen, die überlebten, sind Protagonisten und Zeugen einer einzigartigen Epoche der Motorsportgeschichte: Jackie Stewart, Derek Bell, Jacky Ickx, Jochen Mass, Emerson Fittipaldi etwa. Und auch Niki Lauda. Er pausierte nach seinem furchtbaren Unfall zwei Rennen und stieg beim Saisonfinale in Japan wieder ins Cockpit seines Ferrari. Doch das Rennen in der Nähe des Fujiyama war ein Verbanque-Spiel auf regennasser Piste. Fahren eigentlich unmöglich. Es wurde dennoch gestartet. Niki Lauda entschloss sich nach der zweiten Runde zum Abbruch: "Egal, was die Welt von mir denkt: ich bin kein Selbstmörder." Lebemann James Hunt wurde in diesem Jahr-Weltmeister. Und kein anderer als Enzo Ferrari sagte: "Ferrari ist ein lebender Lauda wichtiger als ein toter Lauda!" Von diesem Einsatz und stetigen Kampf um mehr Sicherheit im Motorsport profitieren die Jungs von heute. Streng genommen fahren Vettel & Co. in einem Milliarden schweren "Karusselgeschäft" das ein, was andere Jahrzehnte zuvor noch mit ihrem Leben bezahlten. Diese anderen, das sind die Helden des Motorsports. Keine Stars, sondern Legenden.
Fotos: Rainer W. Schlegelmilch / Getty Images