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Die Goodwood Speedweek schenkte uns endlich die ersehnte Dosis Oktan

Die Autos waren nicht die einzigen Stars: Die Rennstrecke von Goodwood verwandelte sich für wenige Tage im Oktober in eine echte Filmkulisse. Wir waren für Sie bei diesem grandiosen Actionkino live dabei.

Für einen kurzen Moment am Samstagnachmittag bot die atemberaubende Startaufstellung Ikonen wie Ferrari 250 SWB, Jaguar E-Type, Cobra und Lotus Elite. Die besten Fahrer des historischen Motorsports standen stolz neben ihren Autos – aber es war tatsächlich so still, dass man hätte hören können, wie eine Stecknadel auf diesen geschichtsträchtigen Asphalt fällt. Mark Knopfler von „Dire Straits“ spielte eine akustische Version von „Going Home“ im Andenken an seinen Freund, den großen Sir Stirling Moss, der im April verstorben war.

Der Herzog von Richmond richtete bewegende Worte an das Grid. Stirlings Rob Walker Ferrari 250 SWB stand da, Helm und Rennbrille auf der Motorhaube. Keiner unter diesen Persönlichkeiten, der nicht feuchte Augen bekam, als dieser exklusive Kreis dem großen britischen Rennfahrer auf ihre Art die letzte Ehre erwies.

Was sich anschießend abspielte, erinnerte uns alle daran, weshalb Goodwood weltweit zu den wichtigsten Veranstaltungen im historischen Motorsport zählt: ein Rennen, zwei Piloten pro Team und das späte Licht des nahenden Sonnenuntergangs. Und was für ein Rennen! Der E-Type von James Cottingham und Harvey Stanley, der anfangs dem E-Type von Gary Pearson und Alex Brundle immer wieder gefährlich nah kam, bis das Team Pearson wegen eines Schadens aufgeben musste, wie auch David Clark in seinem Lotus Elite  und Martin Halusa im Ferrari 250 GT SWB.

Nach einer Stunde schoss James Cottingham nur eine Sekunde vor James Huff – ebenfalls auf einem E-Type zusammen mit Richard Meins – als erster an der schwenkenden Zielfahne vorbei. Gregor Fisken und Marino Franchitti machten das E-Type-Glück komplett und holten sich den dritten Platz.

An diesem Wochenende musste allein die Rennstrecke für Spektakel sorgen, denn dem Paddock fehlte die übliche Atmosphäre der mitfiebernden Familien und Freunden, die dieses besondere Goodwood-Feeling erzeugen.

Der Event musste in diesem Jahr der Beschränkungen eher wie eine Privatangelegenheit organisiert werden, reduziert auf die Mitglieder der Rennteams und die Presse, die live berichtete. Wie Karsten Le Blanc meinte: „Es kommt einem wie ein sehr exklusiver Track Day vor. Was für ein Glück, hier dabei sein zu dürfen.“ Andererseits bekam man als Teilnehmer die einmalige Gelegenheit, sich ausführlich den Details dieser fantastischen Schar von Autos widmen zu können.

Mein persönliches Highlight war der 1997 in Le Mans siegreiche Joest Racing Porsche WSC95, der mit seinem Fahrer Tom Kristensen wiedervereint wurde – zusammen hatten sie den ersten der insgesamt neun Triumpfe des Fahrers erreicht. Porsche und Jaguar waren beide an diesem Wochenende bestens verstreten. Mit ihren Le Mans-Rennwagen boten sie eine Kostprobe ihrer Höchstgeschwindigkeit auf dem 3,8 Kilometer langen Rennkurs von Goodwood.

Bereits fest in der Gegenwart etabliert zeigte sich der angehende junge Superstar Harry King, der aktuell in der britischen Ausgabe des Porsche Carrera Cup führt. Der 19-jährige schoss durch den „Shoot Out“, wo sich gleichzeitig eine Auswahl von anderen Rennwagen nach einem stehenden Start um den Rundenrekord balgten. Sonntagnachmittag schaffte Harry eine beeindruckende Zeit von 1.17.443 im 911 Carrera GT3-Cup Car.

Der Sieger im Shoot Out-Rennen sollte schließlich Rick Padmore mit einer phänomenalen Zeit von 1.09.973 auf einem Arrows A11 von 1989 sein. Zweiter wurde James Cottingham mit dem Dallara SP1 LMP. Der markante Sound einer Judd V10-Maschine gehört zur tollsten Akustik unter den Rennwagen, aber wie fühlt es sich an, in Goodwood auf kalten Reifen in einem Le Mans-Fahrzeug  Vollgas zu geben? Wir haben James nach seinen Erfahrungen befragt.

„Seit 1998 dürfen wir das Privileg genießen, in Goodwood mit historischen Fahrzeugen Rennen zu fahren. Die Aussicht, ein modernes LMP-Auto zu bewegen, war ziemlich herausfordernd. Keine Auslaufzone, kein Kiesbett, hoher Speed und spätes Bremsen.“

Auf der kurzen Strecke zwischen Wartebereich und Startlinie gab es kaum die Chance, die Reifen warm werden zu lassen. Wie ist Cottingham damit umgegangen? „Wir haben uns für nasse Reifen entschieden, aber man darf auch nicht vergessen, dass Karbonbremsen ebenfalls Zeit brauchen, um sich zu erwärmen. Andererseits kann man sich auf einem schnellen Kurs wie dem von Goodwood tatsächlich die Downforce zu Nutze machen. Es war eine völlig neue und ganz anders geartete Erfahrung für mich.“

„Es war ein höllisch gutes Erlebnis. Zum Abschluss der Runde heute wollte ich einfach mehr davon! In zwei Runden auf 1,6 Sekunden an Nick Padmore heranzufahren war fantastisch. Ich denke, dass wenn ich mehr Runden gehabt hätte, es für Nick schon arg eng geworden wäre.“

Zwei allseits beliebte Rennen waren ebenfalls Teil dieser außergewöhnlichen Speedweek: die St. Mary´s Trophy und die Gerry Marshall Trophy. Diese Viertürer im Rennoutfit bieten seit Jahren packende Szenen vom Start bis zum Ziel – und auch in diesem besonderen Jahr enttäuschten sie nicht die Erwartungen. Stig Blomqvist ist mit seinen 74 Jahren alles andere als ein typischer Großvater und gewann den ersten Teil der St. Mary´s in einem furchterregendem Ford Galaxie 500, ehe er in einen Ford Capri schlüpfte, um in der ersten Hälfte des Gerry Marshall Trophy-Sprint die Meute anzuführen.

Aber unser Fahrer des Speedweek-Wochenendes war eindeutig Andre Lotterer, der die Gerry Marshall-Trophäe sicherte und auch noch in der RAC TT Celebration triumphierte. Andres austarierte und geschmeidige Kontrolle des Lister Jaguar-Coupés war eine Meisterklasse in Sachen Rennkunst und ermöglichte ihm einen Vorsprung von zehn Sekunden gegenüber seinem dichtesten Rivalen. Im Team mit Frederic Wakeman, hatte Andre bereits die Pole Position gesichert, ehe er im Rennen mit einer Rundenzeit von 1.24.6 der einzige war, der unter 1.25 blieb und sich dabei die mächtigen Cobra und TVR Griffith 400 vom Leib hielt.

Der Pokal für das schönste Auto an diesem Wochenende geht für ans an den wunderschönen Maserati Tipo 61 „Birdcage“ von Nick Mason, den Marino Franchitti im Lavant Cup zum Sieg steuerte.

Dem Herzog von Richmond und seinem verschworenem Team ist es gelungen, im Pandemie-Jahr das schier Unmögliche möglich zu machen. Umsichtige und umfassende Planung sowie strikte Regeln für alle Anwesenden waren der Garant für diesen Event.

Es mag diesmal in Goodwood nicht die traditionell mitreißende Atmosphäre geherrscht haben, aber das war auch nicht das Ziel. Die Speedweek sollte ein Spektakel für alle, die zuhause bleiben mussten, bereiten – vor allem wegen der einmaligen Filmaufnahmen, die man so noch nie bei einer Motorsport-Veranstaltung gesehen hatte.

Unsere Sehnsucht nach historischen Rennen in diesem schwierigen Jahr wurde endlich erfüllt. Danke dafür, Goodwood!

Fotos: Rob Cooper für Classic Driver © 2020