„Big-banger“-Sportwagenrennen, wie in ultimativer Form Ende der 1960er-Jahre in der CanAm-Serie ausgetragen, waren für Hersteller aus gleich mehreren Gründen attraktiv. Ganz besonders aber aufgrund des extrem liberalen Reglements und der prall gefüllten Preisgeldtöpfe. Doch Colin Chapman hatte noch einen anderen Grund im Hinterkopf, als er mit dem Lotus 30 seinen Hut in den Ring warf: Er sann ganz altmodisch auf Revanche.
Dazu muss man kurz zurückblicken: Als das Ford Topmanagement sein Ziel bekanntgab, Ferrari in Le Mans zu schlagen, ging Chapman angeblich fest davon aus, dass er den Zuschlag für den Bau des Ferrari-Killers erhalten würde. Doch am Ende entschied sich Ford für Eric Broadley, dessen Lola Mk6 GT ein ideales Fundament für den Bau des späteren GT40 zu sein schien.
Chapman war verständlicherweise sauer. Um der Welt zu beweisen, dass er Englands führender Rennwagenkonstrukteur war und Ford die falsche Wahl getroffen hatte, machte er sich an den Bau eines offenen Sportwagens mit einem Zentralrahmen aus Stahl („backbone“-Chassis) nach Vorbild des Straßensportwagens Elan. Als Antrieb sah er einen kraftvollen amerikanischen V8 vor. Der Lotus 30 war geboren.
Von Beginn an regte sich innerhalb der Lotus-Mannschaft Widerstand gegen das Projekt. Zweifel rankten sich vor allem um die Steifigkeit des gabelförmigen Chassis; es bestand die Sorge, dass es dem Drehmoment und dem Gewicht des 4,7 Liter großen Grauguss-V8 nicht gewachsen sein könnte. Doch Chapman ließ sich nicht beirren und hielt an Ort und Termin für die Premiere – die 5. Rennwagen-Show im Londoner Olympia im Januar 1964 – fest.
Es war von Anfang an ein gewagtes Unterfangen. Auch wenn der mit einer Fiberglas-Karosserie eingekleidete Lotus im Grunde so aussah, wie man sich einen Lotus damals vorstellte. Neben den verführerisch über die Räder gezogenen Kurven und der eher eckigen Frontpartie fiel vor allem die unglaublich geringe Höhe auf. Wobei die sich schnell relativierte, sobald ein menschliches Wesen Platz genommen hatte – von einer „exponierten“ Sitzposition zu sprechen ist noch untertrieben!
So vielversprechend also die Optik des Lotus war, so problematisch verhielt er sich in der Praxis. Ganz oben auf der langen Liste der breit publizierten Probleme stand – wie von den Ingenieuren in Cheshunt befürchtet – die erschreckende Biegefreudigkeit des Chassis und das abenteuerliche Handling. Der große Jim Clark versuchte sich anfangs auch im 750 Kilo leichten und 350 PS starken Kraftpaket, gewann sogar 1964 die Guards Trophy in Mallory Park und 1965 neben einem Rennen in Silverstone den Lavant-Cup in Goodwood. Doch nicht nur einmal erlebten die Fahrer, dass aufgrund der Bärenkraft des Motors die Aufhängung kollabierte. Doch Chapman blieb am Ball und schob eine Mk2-Version mit steiferem Chassis, Spoilern und größeren Rädern nach. Doch auch damit war der Lotus kein gleichwertiger Gegner für die Lola und McLaren, gegen die er antrat.
Das angekratzte Image des Lotus 30 schien die Kunden dennoch nicht vom Kauf abzuhalten. Immerhin 21 Exemplare konnte Lotus 1964 verkaufen, darunter dieses Exemplar, das aktuell bei ChromeCars in Deutschland zum Verkauf steht.
Das 1964 neu an den Autohändler Duchess Auto in New York gelieferte Chassis L7 wurde sofort an die Arbeit geschickt. Newton Davis, der das Lotus-Geschäft bei Duchess Auto zusammen mit Fred Stevenson leitete, setzte das Auto – das in Eigenregie modifiziert wurde, um Überhitzungs- und Handlingprobleme zu kurieren – noch im gleichen Jahr in der Nassau Trophy auf den Bahamas und bei mehreren SCCA Events ein. 1965 gewann er mit dem Lotus ein regionales Meeting in Lime Rock.
Nachdem das Auto das vorangegangene Jahrzehnt abgestellt worden war, wurde es 1979 an einen gewissen Alex Seldon verkauft und ins Vereinigte Königreich zurückgeholt. Im Zuge der dort erfolgten Restaurierung wurde ein Update auf Mk2-Spezifikation vorgenommen und der Lotus danach erfolgreich bei HSCC Events eingesetzt. 1980 gewann Seldon mit ihm die Classic Sports Car Championship. Danach ging L7 durch die Hände verschiedener Besitzer in Europa und den USA. Sein bislang letzter Besitzer, ein belgischer Sammler, erwarb den Lotus 2012 und brachte ihn regelmäßig bei prestigeträchtigen historischen Events wie Le Mans Classic und Goodwood Revival an den Start.
„Er ist so verdammt sexy“, sagt ChromeCars Michael Gross, als wir ihn danach fragten, warum der in British Racing Green lackierte Lotus 30 so anziehend auf heutige Kunden wirkt. „Und weil er in Wirklichkeit viel größer ist, als er auf Fotos ausschaut.
Damals schafften es die Lotus 30 meistens nicht ins Ziel. Doch dank moderner Restaurationstechnik, professioneller Rennvorbereitung und kürzerer Renndistanzen sind sie heute wettbewerbsfähige Waffen. Dieses Auto, das im Original bei der Bahamas Speed Week antrat, gehört nun schon seit mehreren Jahren zu den Protagonisten der Whitsun Trophy beim Goodwood Revival. Vorausgesetzt, man ist ein ausreichend schneller Fahrer, könnte dies das siegreiche Eintrittsticket für das weltweit größte motorsporthistorische Meeting sein“, ist sich Gross sicher.
Wir sind froh, dass der Lotus 30 solch ein erfolgreicher historischer Rennwagen geworden ist – es wäre ein Sakrileg für ein solch aufregendes Auto gewesen, hätte man es auf die Liste der in Vergessenheit geratenen Rennwagen gesetzt. Zumal, und das wiegt noch schwerer, der Lotus 30 auch Ausweis von Colin Chapmans Vision, Ambition, Mut und Hartnäckigkeit ist. Er mag Ford mit dem Lotus 30 nicht widerlegt haben, doch zumindest hatte er den festen Willen, es zu tun. Bei vielen anderen Projekten gelang ihm das, wie wir wissen, weitaus besser!
Fotos: Roman Raetzke für ChromeCars © 2020