Etwas mehr als 150 Jahre ist es her, dass der findige St. Moritzer Hotelier Johannes Badrutt seine englischen Sommergäste überredete, den Winter nicht im nebligen London, sondern in der Sonne des Engadins zu verbringen. Sollten sie nicht zufrieden sein, so Badrutt, übernehme er die Reisekosten. Doch die Briten waren begeistert, kamen fortan jedes Jahr und steckten bald das ganze Oberengadin mit ihrem sprichwörtlichen Sportsgeist an: Ob bei Curling- und Cricketturnieren, beim Schlittschuhlaufen auf dem See, auf der Bob-Bahn oder beim legendären Cresta Run – überall sah man plötzlich gut gekleidete Damen und Herren mit beachtlichem Tempo über Schnee und Eis schlittern. Auch die Olympischen Winterspiele von 1928 und 1948 sowie der spätere Ski- und Snowboard-Boom wären in St. Moritz ohne die englischen Pioniere kaum denkbar gewesen. Was gäbe es also für einen besseren Ort, um an einem sonnigen Wochenende im Februar den wintersportlichsten Porsche aller Zeiten auszuprobieren?
„Als weites und offenes Hochtal hat das Engadin nicht nur den Vorteil, das hier sehr oft die Sonne scheint, man ist aus St. Moritz auch in fünf Minuten auf der Piste“, erklärt uns Silvano Vitalini, der im Engadin aufgewachsen ist, heute als Herrenschneider sein eigenes Atelier im alten Dorfkern von St. Moritz betreibt und jede freie Minute im Schnee verbringt. „Auch die Vielfalt der Skigebiete ist besonders – man kann in Sils Maria anfangen und bis Samaden fahren. Für mich ist das Engadin als Ganzes so Reizvoll: St. Moritz mit seinem cosmopolitischen Charakter ist das Zentrum, außen herum liegen wie an der Cote d’Azur zahlreiche kleine Örtchen mit ihrem ganz eigenen Flair.“
Auch die Jacken und Blazer, die Silvano in St. Moritz entwirft und in der Provinz Parma von Hand fertigen lässt, spiegeln den internationalen Charakter der Region, die Mischung aus englischer Eleganz, italienischer Sprezzatura und engadiner Handfestigkeit. Sein Markenzeichen ist ein ungefüttertes Jackett aus Trunsertuch nach altem Bündner Vorbild, schlichter und gleichzeitig moderner als ein Jankerl. „Es ist eine ganz einfache und robuste Jacke, die gemacht wurde, um gebraucht zu werden. Man kann den Kragen hochschlagen, sie bis oben zuknöpfen. Ich trage sie zur Jagd, zum Einkaufen oder zum Schlittschuhfahren.“ Gesagt, getan – Silvano schließt seinen Laden ab, lässt die Schlittschuhe in den geräumigen Kombi-Kofferraum des Porsche segeln und pilotiert uns mit sportlichen Gasfuß hinab zum See, um vor dem wunderbaren Bergpanorama einige Pirouetten auf dem Eis zu drehen.
In dem vom Stararchitekten und Wahl-Engadiner Lord Norman Foster neu gestalteten, mit historischen Bobschlitten dekorierten Kulm Country Club wärmen wir uns im Anschluss die Füße auf. „Im Winter fahre ich viel Ski und Cresta“, erklärt uns Silvano mit Blick auf die historischen Sportfotos an den Wänden. „Im Frühjahr gehe ich Baden, sobald die Seen nicht mehr gefroren sind. Im Sommer spiele ich Golf in Samaden, Zuoz oder hier beim Kulm-Hotel – das geht auch in der Mittagspause.“ Wer hat je behauptet, das Leben in den Bergen sei beschwerlich? „Der Hattrick für mich ist es, wenn im Herbst oben schon etwas Schnee liegt, morgens Skifahren zu gehen, Mittags im See zu baden und Abends eine Runde Golf zu spielen. Dass all dies nicht nur an einem einzigen Tag, sondern jeweils nur mit zehn Minuten Fahrzeit möglich ist, macht das Engadin schon einzigartig.“
Während sich unser Sherpa zu seinem nächtlichen Zweitjob verabschiedet – Silvano leitet zusammen mit einem Freund die QN-Bar im Zentrum von St. Moritz –, gönnen wir unserem Wintersport-Shuttle eine Pause und beziehen unser Nachtlager im Kempinski Grand Hotel des Bains St. Moritz, einem ehrwürdigen Fünf-Sterne-Haus, in dem schon vor 150 Jahren die Wintergäste abstiegen und in dessen weitläufigen Fluren und glamourösen Suiten der Geist der Belle Epoque noch immer lebendig ist. An diesem Wochenende sind es die Besucher und internationalen Teams des Snow Polo, die sich in der Lobby tummeln. Gegen St. Moritz im Januar und Februar sind die olympischen Winterspiele eine wenig abwechslungsreiche Angelegenheit.
Frühstart am nächsten Morgen: Silvano hat erst im Morgengrauen die Bar abgeschlossen – doch an einem Sonntag bei Kaiserwetter und Neuschnee als erster auf der Piste zu sein, das mag er sich nicht entgehen lassen. Zunächst kommt allerdings unser Porsche auf seine Kosten: Auf dem schneebedeckten Berninapass zeigt der erste Allrad-Sportkombi der Markengeschichte, dass er nicht nur eine bessere Figur macht als der Fastback-Panamera, sondern auch vollbeladen mit Skiern, Stiefeln und Sportequipment ein echter Serpentinensprinter ist. Auch Silvano setzt heute auf Funktionalität: Seine Engadinerjacke trägt er heute aus einem wasserfesten Militärstoff, der auch von den italienischen Carabinieri auf dem Motorrad getragen wird.
Nach einem ersten Stint hinauf zur Diavolezza-Station auf knapp 3.000 Metern und über die berüchtigte, durchaus teuflische Abfahrt hinunter zur Talstation wechseln wir erneut die Location – und keine zehn Minuten und einige sehr sportlich genommene Kurven später stehen wir mitten im berühmten Skigebiet von Corviglia in der Morgensonne und blicken auf St. Moritz hinab, das weißverschneite Tal, die mächtigen Gipfel, während sich Silvano auf der Piste die letzte Erfrischung vor dem wohlverdienten Feierabend holt. "Den Crestaschlitten, die Golfschläger und meine Badehose hätte ich wohl auch noch unter gebracht", lacht Silvano mit Blick auf das Sammelsurium an Sportgeräten im Heck des Porsche. Dass der vielseitigste Automobilathlet der Saison nicht aus London oder Mailand, sondern aus dem Schwäbischen stammt, mag ihm die Hautevolée bei derart kosmopolitischem Sportsgeist sicherlich durchgehen lassen.
Fotos: Tom Shaxson für Classic Driver © 2018