Als der graue BMW-Prototyp der Siebener Baureihe mit den beiden Vorhängeschlössern auf der Motorhaube den Werkschutz passierte, gab es nur eine geringe Verzögerung für den Fahrer. Die Haube blieb geschlossen, mit der einfachen Begründung, der auf einer Dienstreise befindliche Kollege habe leider den Schlüssel mitgenommen und ein Zweitschlüssel sei nicht auffindbar. Dabei wäre das, was der Werkschützer zu sehen bekommen hätte, von höchster Brisanz gewesen, handelte es sich doch um das Top-Secret-Projekt von BMW. Auf dem Genfer Autosalon lüftete BMW dann das Geheimnis. Der zwölfzylindrige BMW 750iL war die Sensation der Messe.
BMW hatte das Rennen gewonnen und präsentierte der Öffentlichkeit den ersten V12-Motor der Nachkriegsgeschichte. Sehr zur Irritation des Hauptkonkurrenten Mercedes, der sich zu diesem Zeitpunkt mit seinen betagten V8-Motoren noch auf der sicheren Seite wähnte. Die Münchner hatten die Schwaben ausgetrickst. Nach einer öffentlichkeitswirksamen Absage an das V12-Konzept im Jahre 1977 und einem turbogeladenen Sechszylinder im BMW 745i schienen sie zunächst das Feld der üppig motorisierten Nobellimousinen kampflos der Konkurrenz zu überlassen. Doch BMW beherrschte die Täuschung perfekt, denn der aus dem traditionellen 2,5-Liter-Sechszylinder weiterentwickelte V12 war zu diesem Zeitpunkt schon längst beschlossene Sache und lief bereits auf den Prüfständen und in Versuchsautos. Über fünf Jahre dauerte die Entwicklung – und das Ergebnis konnte sich sehen lassen: 5,0 Liter Hubraum, 300 PS, eine hochmoderne Gemischaufbereitung und ein Schwingungsverhalten, wie aus dem Lehrbuch. Dabei wog der Zwölfzylinder mit 240 Kilogramm lediglich 28 Kilogramm mehr als der achtzylindrige Rivale aus Stuttgart – nicht zuletzt ein Verdienst der reichlichen Verwendung von Aluminium. Es war das erste Mal, dass ein so großes Aggregat vollständig aus Leichtmetall gefertigt worden war und zudem auf separate Laufbuchsen verzichten konnte. Eine neuartige Beschichtung der Laufbahnen machte dies erst möglich.
Der erste Einsatz im brandneuen Siebener war ein voller Erfolg. Die Fahrleistungen setzten mit 7,4 Sekunden für den Sprint auf 100 km/h und einer abgeregelten Höchstgeschwindigkeit von 250 km/h (theoretisch wären es 270 km/h gewesen) neue Maßstäbe in der Luxusklasse, was auch für die gebotene Fahrdynamik galt. BMW scheute keinen Aufwand und bot mit elektrisch verstellbaren Stoßdämpfern und elektronisch geregelter Servolenkung modernste Technik auf, um den Siebener zu einem Sportwagen für vier zu machen. Besonders gut gelang dies in der "normalen" Version, dem 750i. Sie war um 11,4 Zentimeter kürzer als die in den Türen verlängerte Langversion und trug maßgeblich zum großen Verkaufserfolg des Modells bei. Als 1994 die Bänder in der E32-Fertigung stoppten, hatte BMW fast 50.000 Zwölfzylinder-Siebener ausgeliefert.
Eine Steilvorlage für Ausgabe Nummer zwei. Im E38 wurde der V12 ab 1994 mit 326 PS angeboten. Der Leistungszuwachs resultierte dabei vor allem aus dem gewachsenen Hubraum. 5,4 Liter waren nun das Maß der Dinge, wenngleich BMW auf die letzten PS durch einen möglichen Einbau der bereits serienreifen Zylinderköpfe mit Vierventiltechnik verzichtete. In München hatte man den zwischenzeitlich von Mercedes mit dem 408 PS starken 600 SE hingeworfenen Fehdehandschuh nicht aufgenommen und sich nicht an dem endlosen Wettrüsten beteiligt. Eine Entscheidung, die sicher auch damit zu tun hatte, dass die dritte Ausgabe des Siebener BMW selbst in der V12-Version noch leichter und zierlicher war, als der Mercedes W140. Die 15.759 Kunden des Top-Siebeners hatten keinen Anlass dazu, sich zu beschweren, denn der leistungsoptimierte V12 setzte sich in Verbindung mit dem nun fünfstufigen Automatikgetriebe optimal in Szene. Hinzu kam eine hohe Zuverlässigkeit, denn dank Steuerkette und digitaler Motorelektronik, die alle Funktionen überwachte, blieben Ausfälle die Ausnahme. Lediglich lange Standzeiten oder minderwertige Schmierstoffe trieben die Eigner in die Werkstätten.
Wesentlich häufiger ging es dagegen zur Tankstelle, denn der Zwölfender der zweiten Generation benötigte fast immer 15 Liter. Lange Vollastetappen ließen den Verbrauch trotz moderner Elektronik auf bis zu 20 Liter anschwellen. Die Passagiere im Fond bekamen davon allerdings nicht viel mit. BMW hatte als einer der wenigen Hersteller das fondorientierte Ausstattungskonzept beim E38 zur Perfektion ausgebaut. Galten beim Vorgänger noch belederte Konsolen und eine zweite Klimaanlage im Fond als ultimativer Luxus, sorgte bei dem auch von James Bond eingesetzten Siebener viel Elektronik für kurzweilige Unterhaltung an Bord. Rear-Seat-Entertainment, elektrische Sitzverstellung hinten, ein Kühlschrank und Picknicktische nahmen das vorweg, was andere Anbieter erst ab der Jahrtausendwende ins Programm nahmen.
Die zunehmende Diskussion um die Ressourcen-Schonung brachte den Zwölfzylinder in der dritten Ausgabe des Siebeners etwas in Bedrängnis. Als 760i bzw. 760il lief der formell umstrittenste Siebener ab 2002 mit nun sechs Litern Hubraum und 445 PS vom Band und fand vorwiegend Käufer in Übersee. 600 Nm wuchteten die 2,2-Tonnen-Limousine binnen 5,5 Sekunden auf 100 km/h und degradierten Sportwagen zu Statisten. Doch das umstrittene Design bescherte dem E65/66 ein kurzes Leben. 2008 war Schluss, und der aktuelle, intern F01 getaufte Siebener betrat die Bühne mit einem grundlegend überarbeitetem Spitzenmodell, das mit zwei Turboladern, variabler Nockenwellenverstellung und Vierventiltechnik auftrumpfte.
Der Einsatz der Turbolader verhilft dem Zwölfzylinder-Siebener heute zu 544 PS, mehr als bei jedem V12-Motor aus der BMW-Serienproduktion zuvor. Das 8-Gang-Automatikgetriebe muss im schlimmsten Fall mit 750 Nm fertig werden, was an den Hinterräder zu erhöhtem Verschleiß führt. Doch der große Hubraum, die früh einsetzenden Lader und der fluffige Wandlerschlupf machen den ultimativen V12 zu einem Erlebnis auch jenseits der Maximalleistung. Der leichte Tritt auf das Gaspedal entfesselt nach einem Bruchteil einer Gedenksekunde eine ungewohnte Druckzone im Magenbereich. Der Siebener stürmt nicht nach vorne – angesichts der Größe und seines Gewichts ist es vielmehr ein höchst nachdrückliches Schieben, das nicht zu enden scheint. Die selbst auferlegte Beschränkung von 250 km/h ist dabei der Spielverderber, da beim Erreichen dieser Marke der V12 gerade erst in Stimmung zu kommen scheint. Der achte Gang senkt die Drehzahl bei Top-Speed auf moderate 4.000/min, was nicht mehr als ein dezentes Rauschen aus dem Motorenabteil bedeutet. Wie viele Reserven in dem Aggregat stecken, beweist die Lebendigkeit, mit der der große Siebener bei Bedarf Zwischenspurts jenseits der 200 km/h auf das Parkett zaubert. Und auch wenn sich angesichts solcher Übungen der mühsam herausgefahrene Normverbrauch als purer Papierwert entpuppt, sind es doch genau diese Momente, in denen nicht nur BMW-Fans auf die nächsten 25 Jahre des Zwölfzylinders anstoßen werden.
Fotos: BMW