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Die nasse Alpentour in einem Bugatti Typ 51 war ein persönlicher Lebenstraum

Die Bergpässe rund um St. Moritz einmal selbst zu erleben, ist ein einmaliger Moment im Leben vieler Autoliebhaber. Aber als unser Redakteur Elliot Newton die Chance erhielt, in einem Vorkriegs-Bugatti mitzufahren, konnte er sein Glück kaum fassen.

Geschichten wie diese. Eine Erzählung voller Höhen und Tiefen, durchnässter Kameras, verpassten Abbiegern, verschworener Gemeinschaft und allem, was sich dazwischen abspielt. Wir haben geradezu epische Roadstrips auf den berühmtesten Routen der Welt erlebt – aber dies ist nun die Geschichte eines frischen jungen Walisers, der sich unerwartet als Copilot in einem millionenschweren Bugatti Typ 51 wiederfindet, um an der Julius Bär Rallye bei der diesjährigen Passione Engadina teilzunehmen.

Für mich war allein die Chance, endlich in St. Moritz zu sein, bereits ein Meilenstein. Die lange kurvenreiche Bahnfahrt eröffnete mir Ausblicke, die mir bisher nur aus Gemälden oder Kinofilmen vertraut waren. Die zerklüfteten Bergkämme und die kristallklaren Gewässer schienen mit jedem Höhenmeter in Richtung St. Moritz  immer dramatischer zu werden. Als Autoliebhaber eröffnete mir diese Location zusammen mit der ständigen, lebhaften Gegenwart italienischer Klassiker den Eintritt in mein persönliches Traumland. Ich war bereits im Himmel der Glückseligkeit, hatte aber noch keinen Schimmer, dass dies erst der Auftakt zu etwas noch Atemberaubenderem sein sollte.

Am Freitagabend erwartete mich das einführende Dinner im wundervollen Kulm Hotel und Country Club, wo ich, nachdem ich die Mitglieder des Bugatti-Teams getroffen hatte, ein großes Buch mit dem Titel „Julius Bär Rallye Roadbook“ in die Hand gedrückt bekam. Beim Durchblättern wurde klar, dass es sich hier nicht um ein typisches Hochglanzmagazin handelte, sondern aus den wichtigsten Wegweisern bestand, die man brauchte, um die gut 200 Kilometer lange Rallyeroute zu absolvieren. Luigi Galli, mein Fahrer und zugleich Experte der Bugatti-Tradition, den ich während unserer Fahrt „Il Maestro“ taufte, beugte sich an mein Ohr und meinte: „Keine Sorge, wir folgen einfach Andy.“ Luigi meinte damit Andy Wallace, legendärer Rennfahrer und jemand, der Wut am Steuer nur zu gut kennt.

Ich trug das Buch ins Zimmer, blätterte ratlos hin und her und überlegte verzweifelt, was genau von mir am nächsten Morgen ab sechs Uhr früh zu tun sein würde. Diese verwirrende Fülle an Symbolen, Distanzen und Zeiten wirkte wie eine mir völlig verschlossene Fremdsprache. Außerdem waren für Samstag mehrheitlich schwere Regengüsse vorhergesagt. Man kann sich gut vorstellen, wie schlecht ich geschlafen habe.

Ich wachte früh auf, geweckt von sintflutartigem Regen, der meine schlimmsten Befürchtungen bekräftigte. Ich war dennoch beim Frühstück tief beeindruckt von der positiven Ausstrahlung der anderen Fahrer, die es kaum erwarten konnten, in ihr Abenteuer zu starten. Das Auto, das Luigi und ich uns teilen würden, war zugleich eine Kostbarkeit dieses Events: Ein Bugatti Typ 51 Grand Prix, der einst die Ikone Typ 35 ablöste und von dem nurmehr 40 Exemplare existierten. Als wir in unsere historisch korrekten Bugatti-Overalls schlüpften und die Regenausrüstung anlegten, war ich wirklich zutiefst eingeschüchtert von dem, was auf mich zukam. Aber als der Motor gezündet wurde und wir die Garage in einem Meer jubelnder Zuschauer Richtung Startlinie verließen, erlebte ich einen Adrenalinkick, der den ganzen Tag währte.

Wir legten gleich in hohem Tempo los und verfolgten zwei Typ 35 entlang der öffentlichen Passtrassen Richtung La Rasiga. Jetzt hatte ich auch begriffen, wie wesentlich diese Karte war und wo und wann ich Luigi Anweisungen zu geben hatte, war er doch vollauf konzentriert mit dem Handling des Typ 51 beschäftigt. Ein Auto ohne Sicherheitsgurte, ohne Türen, mit Reifen schmäler als Motorradgummi und einem Triebwerk direkt oberhalb der Beine ist schon an einem heißen Sommertag respekteinflößend genug, aber mit den Regenschauern, die uns von der Seite bombardierten, brauchte es Luigis ganze Expertise, um uns auf der Straße zu halten.

Als wir dann endlich unseren gemeinsamen Rhythmus gefunden hatten und unterwegs waren auf dem ersten 150 Kilometer langen Stint, konnten wir auch die grandiose Gesellschaft auf der Straße genießen. Das Aufheulen der V12-Ferrari brach sich an den steinernen Mauern entlang der Auffahrt zum Stilfserjoch – nach wie vor eine der weltweit berühmtesten grauen Bänder, die auf einen Berg führen. Bis jetzt hatte die Vorkriegs-Maschine ein makelloses Verhalten an den Tag gelegt: Temperatur und Performance waren bei der 80 Kilometer langen rasanten Fahrt gleichbleibend stabil, aber als wir die Serpentinen des Stilfserjochs erreichten, fuhren wir mitten hinein in einen Stau. Die anderen Autos vor uns krochen langsam dahin, denn im Rückspiel gab es ein Aufgebot an automobilen Kostbarkeiten zu bestaunen – Ich hätte es vermutlich genauso gemacht. Unser Problem: Der Bugatti drohte, zu überhitzen. Als wir die Passhöhe endlich erreichten, passierte das Unvermeidliche, denn Luigi wollte gerade den zweiten Gang einlegen, als der Motor verstummte. Wir rollten an einer unübersichtlichen Kurve zum Stillstand. Die Nadel der Temperaturanzeige zeigte annähernd 100 Grad, wir hüpften aus dem Auto und versuchten, den Typ 51 zu einem sichereren Standplatz zu schieben, während andere Rallyeteilnehmer und Urlaubsfahrer an uns vorbeizogen. 

Einige leidenschaftlich geführte italienische Telefonate später, erklärte mir Luigi, dass das Bugatti-Team in den Begleitfahrzeugen uns bald erreichen würde. Es würde wohl in einem dieser Autos eine lange, vergleichsweise komfortable Fahrt zurück nach St. Moritz geben, dachte ich, aber Luigi hatte nicht vor, so schnell aufzugeben. Während er nochmal die Checks vor dem Start durchging, fragte er mich, ob ich mit der Kurbel an der Front anlassen könnte. Tatsächlich, bei der ersten Umdrehung, erwachte der Motor wieder zum Leben. Wir sprangen zurück ins Auto und machten uns auf den Weg zum Halbzeitpunkt.

Bei der Ankunft dort empfing uns der Jubel und die Freude der anderen Fahrer von Vorkriegsmodellen, die unserer Havarie beobachtet hatten und befürchteten, dass für uns die Rallye vorbei war. Als wir uns für die Rückfahrt nach St. Moritz aufstellten, waren wir befeuert von dem Wunsch, es auch tatsächlich ins Ziel zu schaffen. Auch das Wetter hatte ein Einsehen, die Straßen trockneten ab und es ließ sich sogar der eine oder andere Sonnenstrahl sehen. Luigi ließ nun den Type 51 richtig laufen und der Reihenachtzylinder mit obenliegender Nockenwelle schnurrte wie eine alte Schweizer Uhr, gerade so, als bereitete diese beherzte Ausfahrt dem Bugatti großes Vergnügen.

Unsere feuchten und erschöpften Körper erhielten noch ein allerletztes Geschenk in Form des Ofenpasses, eine Asphaltschlange, die mir buchstäblich den Atem raubte. Meine Augen konnten nicht verarbeiten, was sich vor mir ausbreitete. Als wir uns der Ziellinie näherten, verfestigten sich drei Überlegungen in meinem Kopf. Zum einen die pure Ungeheuerlichkeit dessen, was wir gerade geleistet hatten, ausgeliefert den schwierigen Wetterbedingungen und technischen Problemen. Selbst in einem modernen Auto wäre diese Rallye herausfordernd gewesen. Dann dachte ich über die Ära, in der dieser Typ 51 entwickelt worden war nach – Anfang der dreißiger Jahre gehörte unser Abenteuer zum Alltag der mutigen Piloten. Diese Autos wurden von echten Kriegern gefahren, die alles riskierten, um den Nervenkitzel der Geschwindigkeit und der Spannung zu erleben. Und schließlich habe ich überlegt, ob ich danach noch einmal in meinen Abarth 595 einsteigen wollte. Ich muss auch so einen Bugatti haben!

Wir rollten ins Ziel und würden von Paolo Spalluto – Signore Passione höchstpersönlich – empfangen. Als wir in die Garage des Kulm rollten, war die Freude und die Leidenschaft unter den rund 130 Teilnehmern mit Händen zu greifen. Was sie verbindet, sind klassische Autos und die einmalige Erfahrung, diese zu fahren. Ich werde das Erlebnis dieses Tages nie vergessen, nicht zuletzt wegen einer Bemerkung von Luigi, als wir die Garage verließen: „Vor dieser Rallye habe ich übrigens dieses Auto nur für ein paar Kurztrips bewegt.“

Images by Elliot Newton & Giacomo Geroldi