Um Ihnen eine Idee davon zu vermitteln, über was wir hier so begeistert sprechen, sei hier nur das Erlebnis in der ersten von gefühlt endlosen Hallen beschrieben: Innerhalb von 15 Minuten erblickten wir einen der weltweit authentischsten Bentley 4 ½ Litre, einen originalen Ford Fiesta Turbo und einen brandneuen Porsche GT2 RS (wir wagten nicht zu fragen, um wieviel höher als der Listenpreis er angeboten wurde).
Okay, die Qualität und der durchschnittliche Wert der Autos mag nicht so hoch sein wie auf der Rétromobile in Paris, doch was Essen auch bei der 30. Ausgabe der Techno Classica so speziell macht ist die Tatsache, dass es hier so viele aufregende und dabei erschwingliche Autos zu sehen gibt. Unser Scheckheft jedenfalls war ständig in Gefahr, gezückt zu werden. Ein mintgrüner Alfasud Sport „Grand Prix“ Edition für 18.000 Euro oder ein Seat 600 Scheunenfund für die Hälfte davon – jemand Interesse?
In der Hoffnung, seinen imponierenden Verkaufserfolgen der jüngeren Vergangenheit neue Abschlüsse hinzuzufügen, zeigte Bastian Voigt neben anderen Kostbarkeiten einen Ferrari 288 GTO. Und wer nach einem Alfa Romeo Giulia Sprint GTA Ausschau hielt, kam an zwei bei Mechatronik ausgestellten Modellen nicht vorbei. Sehr schön, mit dem Mercedes-Benz 300SL von Rosier Classic Sterne ein vertrautes „Gesicht“ zu sehen – genau dieses Auto hatten wir letztes Jahr im Magazin vorgestellt – beachten Sie das subtil „gechoppte“ Dach und das Straußenleder!
Wenn auch nicht mit ganz so aufwendigen Ständen wie bei der Rétromobile waren die Industriegrößen Lukas Hüni und Axel Schütte auch in Essen vertreten. Hüni brachte den fabelhaften Ex-Scuderia Parravano Maserati 300 S Shortnose mit, während wir uns beim Blick auf den Stand von Schütte nicht entscheiden konnten, mit welchem Auto wir die Rückreise antreten wollten: mit dem Mercedes-Benz 190 E 2.3-16, mit dem Niki Lauda 1984 beim Eröffnungsrennen des neuen Nürburgrings mit 20 identischen 190er startete oder dem Maserati A6G2000 mit Zagato-Karosserie, einer von nur drei gebauten.
Hyman Ltd. Classic Cars aus Wisconsin (USA) gewann den Preis für die längste Anreise. Der Aufwand dürfte sich gelohnt haben – der sattgrüne Bugatti Type 57 Atalante von 1934 trug bei unserer Standvisite bereits den Sticker „Sold“. Mit Blick auf modernere Jahrgänge waren wir – trotz seines unförmigen Hardtops - beeindruckt von Gallery Aalderings komplett schwarzem Aston Martin DB7 Volante Zagato und dem „Verde Inglese“ Ferrari 456 von Gipimotor. Der elegante Ton besitzt keinen Metalliceffekt, was dem Pininfarina-Design der 90er-Jahre schmeichelt.
Für Porsche-Fans ist Essen ein Schlaraffenland. Von Serge Heitz extrem geschmackvollem Restomod-356 bis zum Wuppertaler Manfred Hering mit seinen 90er-Jahre RS-Modellen reicht die Palette. Doch wenn wir uns einen Porsche von der Messe aussuchen dürften, dann wäre das das unerhört betörende (und extrem seltene) 356 „Bent Window’“ Cabriolet Baujahr 1952 vom Porsche Centrum Gelderland. Oder der brutale 911 S Rallye Monte Carlo von 1969, den Jo Siffert 1971 als Trainingsauto für die Targa Florio nutzte. Damit hätten wir eine gute Begründung für einen Road-Trip runter nach Sizilien...
Endlich bekamen wir das Facel Vega-Cabrio zu Gesicht, von dem uns Jasper Beukenkamp von JB Classic Cars während unseres kürzlichen Besuchs erzählt hat, genauso wie der Porsche 356B 1600 at Classics2Drive und der schön gealterte Morgan Three Wheeler at Albion Motorcars einfach hinteissend waren. Wir trafen auch auf Heinz Swoboda, der für den Mai die Challenge & GT Days auf dem Red Bull-Ring in Spielberg organisiert. Wenn Sie sich für das private Event noch kein Ticket (und Auto) gesichert haben, böte sich ein hellgelber Ferrari 355 Challenge an, der bei Franco Lembo Automobilia zum Verkauf stand.
So hoch ist das Renommee der Classica und so hoch der Zuschauerzuspruch (über 200.000), dass es sich die großen Hersteller und deren Classic-Abteilungen nicht leisten können, fernzubleiben. Überraschenderweise war es nicht der auf dem kleinen, aber feinen Volvo-Stand ausgestellte P1800 von Simon Templar, sondern der von hinten an einen Citroën SM erinnernde Prototyp eines 1800 ES Shooting Brake, der unsere Aufmerksamkeit fesselte. Sein Spitzname „The Rocket“ bezog sich wohl eher auf seine Größe denn seine Leistung. Die Evolution des Silberpfeil-Themas illustrierte Mercedes sehr schön mit drei Autos aus über 80 Jahren: Einem W154 Baujahr 1938 von Rudolf Caracciola, einem McLaren-Mercedes V10 von Mika Häkkinen und einem modernen Louis Hamilton-Modell aus der Hybridpower-Ära.
Bei Audi parkte ein Auto Union Typ D gleich hinter einem 200 Quattro für die TransAm-Serie. Drüben bei Lamborghini Polo Storico stand ein Espada aus Anlass seines 50. Geburtstags im Mittelpunkt, während uns BMW Classic mit einem Procar-M1 beglückte. Im Vorbeigehen warfen wir am Stand von Aston Martin Works einen ersten Blick auf den „neuen alten“ Continuation-DB4 GT. Egal, was Sie von der Idee an sich halten: Das Auto sieht in der Realität einfach umwerfend aus. Und werden wir es jemals satthaben, bei Jaguar Land Rover Classic neue Scheunenfunde zu bestaunen? Vermutlich nicht...
Es tat fast schon weh, den Mazda 787 B, Siegerwagen der 24 Stunden von Le Mans 1991, lautlos auf dem Stand des Techno Classica-Veranstalters SIHA zu sehen. So sehr sind wir an seinen ohrenbetäubenden Wankelsound gewöhnt, dass das im Rahmen einer Sonderschau zum 95. Jubiläum des Rennens gezeigte Auto wie ein im Käfig eingesperrtes Nashorn wirkte. Gleich daneben stand der von Jochen Mass gefahrene Sauber C9, dessen Fahrer wir zufälligerweise nur wenige Minuten später in die Arme liefen. Auch er war nach dem verschneiten Members’ Meeting von Goodwood am letzten Wochenende gerade erst aufgetaut.
Um auf Le Mans zurückzukommen: Ascott Collection zeigte mit dem von einer Helikopter-Turbine angetriebenen Howmett TX von 1968 eines der originellsten Autos aus der Geschichte des legendären Rennens. Firmengründer Xavier Micheron will das Auto beim diesjährigen Le Mans Classic einsetzen – ein Event, über das Classic Driver mit Sicherheit berichten wird.
Wir können mit Freude feststellen, dass die Händler durch die Bank gut gestimmt und zuversichtlich waren – angesichts der aktuellen Marktsituation ein hoffnungsfrohes Zeichen. Viele hatten schon am Eröffnungstag ein Auto oder sogar mehrere verkauft. Und die noch bis Sonntag in die Essener Grugahallen strömenden Massen werden den Absatz mit Sicherheit noch weiter ankurbeln.
So viel für den Moment, Classic Driver muss ein Flugzeug kriegen. Denn weiter geht es nach Stuttgart zu einer, Sie erraten es, weiteren Klassiker-Messe. Eine fragwürdige Terminkollision, aber wir nehmen es, wie es kommt.
Fotos: Mathieu Bonnevie für Classic Driver © 2018