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Vic Elford erinnert sich an die goldene Epoche der Targa Florio

In diesen Tagen startet die Targa Florio zum 100. Mal. Um auf die goldene Zeit des legendären Straßenrennens zurückzublicken, als lupenreine Sportprototypen bei der Targa Florio durch stille sizilianische Bergdörfer donnerten, gibt es wohl keinen Berufeneren als den Sieger von 1968 – Vic Elford.

„Die Targa Florio war einfach sensationell. Ich hatte auch eine sehr spezielle Beziehung zum Nürburgring, doch bei der Targa kam zusätzlich ein romantischer Aspekt hinzu“, sagt Elford, der zwischen 1967 und 1972 sechsmal infolge auf dem Kurs in den Madonie-Bergen startete. 1968 reichte es zum Gesamtsieg, und danach fuhr er in jedem Jahr die schnellste Rennrunde, immer auf Porsche. Obwohl der heute 80-Jährige Londoner seit längerem in den USA lebt, entwickelte er eine spezielle Bindung an die Insel und seine Menschen – und kehrt regelmäßig dorthin zurück. „Sizilien ist nicht Italien – die Leute dort sind Sizilianer, keine Italiener, da gibt es deutliche Mentalitätsunterschiede. Italiener sind romantisch und begeisterungsfähig – die Sizilianer auch, aber noch einmal alles zum Quadrat! Wir hätten das Rennen von 1968 ohne Hilfe der Einheimischen nie und nimmer gewonnen. Als ich mir zu Beginn des Rennens einen Platten einfing, haben sie den Wagen buchstäblich vom Boden hochgehoben, so dass ich das Rad wechseln konnte.“

Der Geist Siziliens

Elford, bis dahin ein anerkannter Rallye-Spezialist, kam 1967 zum ersten Mal zur Targa Florio. Dort sollte er mit Jochen Neerpasch einen Porsche 910 fahren. „Um die Strecke kennenzulernen, mieteten wir zunächst Fiat 124 Leihwagen. Danach tauschten wir sie gegen einen 911 und dann einen 906 aus. Für mich der erste echte Rennwagen, doch ich mochte ihn nicht so recht. Seine wuchtigen vorderen Kotflügel erzeugten ein Gefühl, als würde man ständig durch einen Tunnel fahren. Kurz vor dem Rennen wechselten wir dann in unseren Einsatzwagen, den 910. Der sagte mir dann sofort zu!“ Im Ziel wurden Elford/Neerpasch als Zweite abgewunken - und von Anfang an fing sich „Quick Vic“ diesen speziellen Targa-Virus ein, den er auch bis heute nicht mehr losbekommen hat...

„Beim nächsten Start 1968 hatte ich die 72 Kilometer lange Strecke in mein Gedächtnis eingebrannt. Man hätte mir die Augen zubinden und mich mit einem Helikopter irgendwo absetzen können – ich hätte genau sagen können, an welcher Stelle der Strecke wir uns gerade befanden, welche Kurven als nächstes folgen würden und welchen Gang ich dafür einlegen müsste. Ich schätze mich glücklich, ein fotografisches Gedächtnis zu besitzen, das hat mir schon bei den Rallyes sehr geholfen.“ Hilfreich erwies sich für Kettenraucher Elford auch das Talent, italienisch mit lokalem Akzent parlieren zu können. Was passiert, wenn man der Landessprache nicht mächtig ist, musste sein Teamkollege Gérard Larrousse im Rennen von 1971 leidvoll erfahren. „Auch er hatte einen Platten, doch die Leute wollten einem Franzosen in einem deutschen Wagen, der dazu auch kein Italienisch sprach, nicht helfen. Im weiteren Verlauf des Rennens hatte Gérard dann noch einen Unfall. Dabei durchbrach er das Tor zu einem Garten, in dem gerade eine Hochzeitsparty stattfand. So wurde er für den Rest des Nachmittags als Gast von der Hochzeitsgesellschaft bei Laune gehalten.....“

Die Legende aus Collesano

Der gleichwohl vorhandene Patriotismus der Sizilianer fand vor allem in der geradezu abgöttischen Huldigung ihres Lokalhelden Nino Vaccarella ihren Ausdruck. Überall auf dem Asphalt oder an Häuserwänden wurde der Schriftzug „Nino“ aufgesprüht, der Lehrer aus Palermo und Ferrari-Werksfahrer bei jeder Vorbeifahrt frenetisch bejubelt. Doch gab es neben Nino noch eine andere Kultfigur der Targa – den Schumacher Ciccio aus Collesano. „1968 kam er beim Vortraining ins Fahrerlager und bot an, für jeden von uns spezielle Rennfahrerschuhe zu fertigen“, erinnert sich Elford. „Meine Kollegen waren nicht groß interessiert, doch er tat mir ein wenig leid, und so ging ich auf sein Angebot ein. Er legte ein Blatt Papier auf den Boden und zeichnete mit einem Stift die Umrisse meiner Füße – was komisch aussah, denn an meinem linken Fuß fehlte der Großteil des großen Zehs. Als ich dann die Targa mit seinen Schuhen gewann, war er plötzlich über Nacht zur Berühmtheit geworden. Nun wollte plötzlich jeder für sich und seinen Hund Schuhe von ihm – und das ist auch noch heute bei den aktuellen Piloten so. Doch bin ich der einzige geblieben, für den Ciccio jemals Schuhe in Rot und Weiß gefertigt hat!“

Wenn sich Rivalitäten auszahlen 

Eine weiteres exklusives Vorrecht Elfords besteht bis heute darin, als einziger jemals einen Porsche 917 um den Targa Florio-Kurs gesteuert zu haben. „Das war 1970 und ging auf die endlose Rivalität zwischen Ferdinand Piech und John Wyer zurück. Sie gerieten oft aneinander, doch als Piechs Fahrer Nummer eins profitierte ich oft davon, wenn er Wyer wieder einmal eins auswischen wollte. Am Freitagmorgen drehten wir zunächst unsere Runden im neuen und für das Rennen vorgesehenen 908/3. Dann kam Piech zu mir und sagte: ‚Kannst Du mir einen Gefallen tun und eine Runde im 917 fahren? Wir wollen Wyer etwas beweisen.’ Das Auto hatte nicht die für die Targa Florio nötige weiche Abstimmung, sprang und hüpfte also wie wild um den Kurs. Trotzdem fuhr ich damit die fünftschnellste Zeit des Trainings, war aber nach dieser einen 72- Kilometer-Runde physisch und psychisch so fertig, dass man mich aus dem Cockpit heben musste. Ich hätte den 917 niemals im Rennen fahren können, doch es war definitiv eine Erfahrung. Auch wenn die Straßen vielleicht nur zwei Fahrspuren breit war, erreichte ich auf der langen Geraden, die am Meer vorbei zurück zu den Boxen führt, wohl gut und gerne über 320 km/h...“

Heute lebt der Geist der 1906 erstmals ausgetragenen Targa Florio in Form einer Rallye für historische Fahrzeuge weiter. Für Elford der perfekte Vorwand, zum 100. Jubiläum des legendären Straßenrennens wieder einmal „nach Hause“ zurückzukehren. Im Gegensatz zu ausgebesserten Passagen der Strecke scheinen die verwunschenen Dörfer wie eh und je in der Sonne zu brüten, auch die Begeisterung der „Locals“ scheint so groß wie früher. Doch all jene, die die wilden Jahre der 1973 letztmals ausgetragenen „echten“ Targa (sie lief danach noch bis 1977 als Lauf zur italienischen Meisterschaft) live miterlebt haben, werden die Erinnerungen für immer bewahren. Allen voran Vic Elford.

Fotos: Rainer Schlegelmilch via Getty Images / LAT