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Derek Bell, wie gewinnt ein Landarbeiter fünfmal in Le Mans?

Obwohl er sein Debüt in der Formel-1 mit Ferrari feierte, avancierte Derek Bell schnell zum Spezialisten für die Langstrecke: fünf Mal gewann er in Le Mans, zwei Mal bei den 24 Stunden von Daytona. Classic Driver traf ihn zum Gespräch auf seinem Kinderspielplatz – in Goodwood.

Stimmt es tatsächlich, dass Sie anstatt auf der Rennstrecke die Ideallinie zu suchen, beinahe ein Leben lang auf einem Traktor über die Felder gefahren wären?

Absolut richtig! Ich habe sogar öfters darüber nachgedacht, in die Landwirtschaft zurückzukehren, es dann aber doch nicht getan. Im Alter von neun Jahren kam ich auf den Bauernhof – das Alter, in dem ich auch selbst mit dem Fahren angefangen habe: Land Rover, Traktoren und Motocross-Bikes. Da mein Stiefvater Mitglied im British Automobile Racing Club war, waren wir immer wieder in Goodwood und ich fand rasch Gefallen an der Sache. Meine erste Ausbildung erhielt ich in der Jim Russell Racing Driver School. Damals war ich auch Ordner bei den Rennen in Goodwood. Ich war dabei, als Stirling hier 1962 seinen Crash hatte und schwenkte wie wild meine gelbe Fahne. Ehrlich gesagt, hatte ich keine Ahnung, wie man jemand im Notfall aus einem Fahrzeug zieht. So war das bei den Rennen in dieser Zeit. Aber ich hatte eben die Chance, ganz nah dran zu sein.

Bald fielen Sie Enzo Ferrari auf. Was geschah dann?

Ich hatte ein paar gute Resultate für Ferrari in der Formel Zwei eingefahren, also wurde ich nach Modena gebeten, um einen F1-Rennwagen auszuprobieren. Ich kam an, es schüttete und es gab nur Intermediates, weil die Regenreifen noch auf dem Truck waren, der vom Grand Prix in Deutschland zurückfuhr. Chefingenieur Mauro Forgheri beugte sich zu mir ins Cockpit und raunte mir zu: „Wenn du jetzt einen Crash baust, ist es das letzte Mal, das du in einem roten Auto unterwegs bist.” Was sollte ich tun? Ich musste mich beweisen. Ich spurtete auf die erste Kurve zu, und da saß der Commentatore in seinem Ferrari 365 GT 2+2. Mir war nicht klar, wie weit ich gehen durfte. Wartete er auf meinen Dreher als Beweis, dass ich etwas riskierte? 

Danach hat sich eine sehr gute Beziehung entwickelt, nicht wahr?

Er hat mich oft zum Abendessen in seinem Auto abgeholt, was nicht einfach war, weil ich kein Italienisch sprach und er nur sehr wenig Englisch. Keine Ahnung, wie wir uns unterhalten haben, aber ich habe sehr viel Pasta gegessen!

War Enzo Ferrari so schwierig, wie sein Ruf?

Er war immer sehr gut zu mir, also hatte ich keinen Grund für ein Zerwürfnis. Bei anderen war das jedoch der Fall und sie waren danach verbittert. Aber nach meiner Erfahrung war waren das meinst selbst schwierige Leute. 

Kann man die Erfahrung, in Le Mans mit fast 400 km/h über die Mulsanne-Gerade zu rasen, überhaupt in Worte fassen?

Es ist wirklich surreal. Du kommst am Rennwochenende an und fährst in diese strenge, fast bedrückende alte Stadt hinein. Dann siehst du die Mulsanne und spürst das Adrenalin: Hier bin ich, in Le Mans. Und du weißt, dass du diese lange Gerade schneller als irgend jemand zuvor meistern wirst. Das hört sich jetzt melodramatisch an, aber es gab diesen unbändigen Pioniergeist.

Wie haben sich die 24 Stunden von Le Mans seit Ihrer aktiven Zeit verändert?

Zu meiner Zeit musste man sich um die Motoren keine Gedanken machen. Das Getriebe war die Crux, weil man damals selbst schaltete. Ich erinnere mich an 1974, in der Mirage, als ich nach meinem ersten Stint an Mike Hailwood übergab. Ich sagte Mike, dass ich Probleme mit dem dritten Gang hatte. „Na, prima,” antwortete er, „dann sind wir rechtzeitig zum Tee wieder daheim.” Das waren wir natürlich nicht, wir wurden vierte. Aber wir mussten mit unglaublich viel Fingerspitzengefühl unterwegs sein und uns noch die Seele aus dem Leibe fahren. Über Finesse am Steuer müssen sich die Jungs heute keine Gedanken mehr machen. Außerdem waren wir damals nur zu zweit und nicht wie heute zu dritt oder zu viert. Wenn du das Auto an der Box übergeben hattest, wusstest du, dass du danach gleich wieder dran bist - eine mentale und physische Herausforderung. 

In den Jahren 1992 und 1995 bildeten Sie ein Team mit Ihrem Sohn. Konnten Sie die väterliche Fürsorge während dieser 48 Stunden erfolgreich unterdrücken?

1995 im McLaren war es okay, aber im Porsche, 1992, war ich wirklich nervös. So lange die Strecke trocken war, ging es, aber als es nass wurde, war es sehr, sehr schlimm. Normalerweise gibst du deinem Teamkollegen bei der Übergabe einen kurzen Zustandsbericht wie zum Beispiel: Pass auf, an der Tertre Rouge liegt Öl. Aber bei Regen ist es überall feucht, also sagst du besser garnichts. Ich hatte schon eine enorm anstrengende Stunde hinter mir, aber ich machte mir noch mehr Sorgen um Justin, weil ihm meine Erfahrung fehlte. Das einzige Mal, bei dem meine Fahrweise erratisch wurde, war beim Gedanken, dass mein Sohn als nächster das Steuer übernehmen würde. Jedenfalls haben wir den Fahrerwechsel gemacht und er fragte mich, wie die Bedingungen sind. Mir fehlten die Worte und ich wusste auch nicht, wie ich ihn vom Fahren abhalten konnte, also sagte ich nur: Ich weiß nicht, just drive. Ich machte mir riesige Sorgen, aber er kam durch, übergab an Tiff und kehrte in unser Wohnmobil zurück. Ich fragte ihn sofort, wie es ihm ergangen war. „Verdammt wunderbar!”, schoss er zurück. Also machte ich mir drei Jahre später im McLaren als Vater weniger Sorgen.

Sie haben fünf Mal in Le Mans gesiegt. Was ist das Geheimnis Ihres Erfolges?

Jackie Ickx hat das in einem Brief, den er mir 1983 schrieb, auf den Punkt gebracht. Wir versuchten uns gerade an unserem dritten Sieg in Folge. Sein Bruder war Anwalt und das hat wohl ein wenig auf ihn abgefärbt. Jackie war sehr strukturiert und ein guter Briefschreiber. In dem Schreiben stand: „Derek, wir brauchen die besten Designer, die besten Ingenieure, die besten Mechaniker, die besten Aerodynamik, die besten Motoren, diebesten Reifen, die besten Fahrer und das besten Glück. Fehlt eine dieser Komponenten, werden wir Le Mans nicht gewinnen.” Das ist die Antwort auf Ihre Frage.

Photos: The Derek Bell Collection / Rex / Getty

Die Serie "Racing Legends", in der wir Ihnen die persönliche Seite berühmter Rennfahrer näher bringen, wird freundlich unterstützt von Credit Suisse Classic Car Programm.

Falls Sie noch nicht wissen, welche historischen Rennen Sie in diesem Jahr besuchen möchten, empfehlen wir einen Blick in den Historic Racing Guide 2015.