Als sich die schweren Türen des Lastenaufzugs öffnen, wollen wir unseren Augen noch nicht so recht trauen: Steht da wirklich ein Ferrari 250 California Spyder neben einem Ferrari 250 GT SWB und einem Aston Martin DB4GT Zagato? Und ist das gegenüber tatsächlich ein Bugatti Chiron, der mit einem Pagani Huayra und einem Ferrari 312 P im Scheinwerferlicht um die Wette funkelt? Allein die sechs Autos, die in der auf Jazzclub-Helligkeit abgedunkelten Collectors’ Lounge auf weißen Präsentationsflächen aufgereiht stehen, könnte man ohne Übertreibung als „Greatest Hits“ der Automobilgeschichte bezeichnen.
Dabei ist der Raum mit den schwarzen Sitzgelegenheiten bloß der Anfang. Das eigentliche Erweckungserlebnis folgt, wenn man die Rolltreppe nach unten betritt – und sich rechts und links zwei gewaltig dimensionierte Hallen auftun, in denen sich bis in weite Ferne die schlichten weißen Schaukästen reihen, in denen man schon aus der Entfernung einige altbekannte, buntglänzende Karosseriekurven erahnen kann. Was bisher nach einem ziemlich ambitionierten Vorhaben geklungen hatte, ist den Organisatoren tatsächlich gelungen: Sie haben bei der ersten Ausgabe der Grand Basel nicht nur mehr als 100 automobile Meisterwerke aus dem Besitz von Sammlern und dem Bestand von Händlern zusammengebracht, sondern diese auch in einem völlig neuartigen Wahrnehmungserlebnis inszeniert.
Inspiriert vom Erfolg der ebenfalls von der MCH Group organisierten Art Basel, die als größte und wichtigste Kunstmesse der Welt gilt und mittlerweile auch in Miami und Hong Kong veranstaltet wird, wurde die Grand Basel als streng kuratierte, ästhetisch anspruchsvolle Automobilschau geplant. Statt konkurrierender Markenlogos und flimmernder Bildschirmwände sollten die Autos selbst im Mittelpunkt stehen, die Architektur der Messestände derweil zurücktreten und eine einheitliche, optimal ausgeleuchtete Präsentationsplattform bieten. Es kann nicht leicht gewesen sein, alle Aussteller davon zu überzeugen, auf ihr Corporate Design zu verzichten – doch für den Besucher zahlt sich das konsequente Ausstellungskonzept aus.
Auf langen Prachtstraßen flaniert man durch die Exponate wie einst Walter Benjamin durch die Großstadt und staunt über Karosseriekunstwerke, die aus der Vorkriegszeit bis ins Jahr 2018 reichen und selbst abgebrühte Automobilkenner und Concours-Touristen beeindrucken. Die Frage „Are Cars Art?“, die zumindest in der Schweiz allerorts auf den Plakaten der Grand Basel prangt, kann angesichts dieser künstlerisch anspruchsvollen Ausnahmeschau nur rhetorisch gemeint gewesen sein. Dass viele der 113 Autos aus denselben Privatsammlungen und Showrooms stammen, kann man den Organisatoren verzeihen – denn die Mischung der Autos funktioniert und setzt sich zu einer wahren „Hall of Fame“ der Automobilgeschichte zusammen.
Allein mit dem Maserati Ghibli Spyder, Aston Martin DB3, Porsche 550, Ferrari 250 MM, Fiat 8V Vignale, BMW 507 und Lamborghini Countach könnte man im Pebble Beach oder an der Villa d’Este eine eigene Klasse bespielen. Und wie so oft sind es die Geschichten hinter den Autos, die den eleganten Formen auch eine historisch-unterhaltsame Dimension geben: Dass der organefarbene Lamborghini Miura tatsächlich jenes Auto ist, dass in der Eröffnungssequenz von „The Italian Job“ durch die Schweizer Alpen brauste, macht die Zusammenstellung noch aufregender. Und die Basler Besucher wird es freuen, dass mit dem Monteverdi Hai auch ein wichtiges Stück regionaler Automobilgeschichte seinen Platz unter den großen Ikonen gefunden hat.
In den schier endlosen Reihen der nördlichen Galerie weiß man dann wirklich nicht mehr, welchem Automobil man zuerst seine Aufmerksamkeit schenken soll: Große Karosseriekunst sind sicherlich der Citoen DS Capron Le Dandy von Andres Golz und die beiden Isotta Fraschini 8C Monterosa aus der Sammlung von Corrado und Duccio Lopresto. Und auch der Avion Voisin C25 Aérodyne von 1935 ist so gewaltig wie eindrucksvoll. Doch wie so oft sind es letztlich die Rennmaschinen, die einem den automobilen Puls am zuverlässigsten nach oben schnellen lassen – und das selbst dann, wenn sie stehen!
Aus der einzigartigen Sammlung von Moco Historics stammen unter anderem ein herrlich funktionalistischer Maserati Tipo 63 Birdcage mit seiner kaum verhüllten Mechanik und dem namengebenden Gitterrohrrahmen und ein Abarth Serie II 2000 Periscopio, die selbst in den minimalistischen Boxen der Grand Basel für Rennatmosphäre sorgen. Eindrucksvoll sind auch der Ferrari 365 GTB/4 Competitione, der Ford GT40 und der BMW M1 R, die allesamt von privaten Sammlern mitgebracht wurden.
Natürlich hat jede Messe ihre Stars – und auch bei der Grand Basel scheint das Scheinwerferlicht trozt demokratischem Ausstellungskonzept auf einige Autos besonders hell: Da ist etwa der bei Classic Driver schon sehnlichst erwartete Lancia Delta Integrale Futuristo von Automobili Amos, der auf dem Stand neben einem Integrale Evolutione im Martini-Look von 1992 steht. Selten hat uns ein Auto so beeindruckt, wie dieses von Eugenio Amos und seinem Team mit viel Leidenschaft und Liebe zum Detail realisierte, in seinem dunkelgrünen Lack so herrlich aggressiv wie subtil dastehende Gesamtkunstwerk! Dass Amos mit dem aberwitzigen Bentley Continental P116 von Carlo Talamo noch ein weiteres Star Car der Grand Basel beigesteuert hat, zeugt abermals von seinem automobilen Stilempfinden. Well done!
Als Beispiel für die zeitgenössische Karosseriebaukunst stehen derweil der von Flavio Manzoni und seinem Designteam entwickelte Ferrari SP38 „Deborah“, den wir in diesem Sommer bereits in den Bergen rund um Lugano erleben durften, und der Aston Martin Virage Zagato Shooting Brake, hinter dessen Steuer wir in den vergangenen Woche die Innenstadt von Basel erkundet haben. Und der verbreiterte, allradbetriebene und gut 400 PS starke Porsche 911 Targa aus den französischen Ateliers Diva beweist, dass die Restomod-Elfer-Bewegung nicht bei Singer aufhören muss. In Detroit, Frankfurt oder Genf würden solche Autos im Dröhnen der Großseriendebüts untergehen, hier gehört ihnen die Bühne.
Die Grenzüberschreitung aus den oktanhaltigen Welten der Petrolheads in die ätherischen Sphären von Kunst und Design ist den Vordenkern der Grand Basel ein wichtiges Anliegen – schließlich werden die Automobile hier nicht nur als millionenschwere Statussymbole, sondern als Kulturgüter präsentiert. Umso erfreulicher ist es, dass es den Organisatoren gelungen ist, die Realisierung eines bisher unverwirklichten „Traumautos“ in Basel zu vollziehen: 1953 hatte der italienische Industriedesigner und Architekt Gio Ponti, der zur selben Zeit auch das berühmte Mailänder Pirelli-Hochhaus entwickelte, die Idee zu einem futuristischen Automobil nach seinem Gestaltungsprinzip der „Linea Diamante“ und auf Basis des Alfa Romeo 1900. Auf der Grand Basel ist nun ein Modell des Autos im Maßstab 1:1 zu sehen. Und wer weiß, vielleicht wird das „Pontimobil“ in Zukunft ja von einem der anwesenden Sammler auf die Straße gebracht.
Aufgelockert wird die Show zusätzlich durch die sogenannten „Advisory Board Member Frames“, auf denen die sechs Kuratoren der Grand Basel jeweils ein Auto zeigen, das ihnen besonders am Herzen liegt. Der Autodesign-Professor Paolo Tuminelli hat sich für einen bescheidenen Fiat Panda von 1979 entschieden, der Autor Stephen Bayley zeigt einen Ford Consul Capri von 1961, die Künstlerin Sylvie Fleury kombiniert einen Lincoln Continental Picasso mit einer eigenwilligen Skulptur und der Designtheoretiker Michael Erlhoff rückt eine Auswahl von Modellautos in den Vordergrund. Eigenwerbung betreiben derweil die beiden Berater aus Italien: Agnelli-Erbe Lapo Elkann zeigt den neuen Fiat 500 Spiaggia seiner Garage Italia, Jahrhundertdesigner Giorgetto Giugiaro hat den GFG Style Sibylla GG80 im Gepäck. Wir würden dennoch seinen Corvair Testudo, mit dem er einst seine Karriere begann, vorziehen.
Haben wir alle Automobile angesprochen, wegen derer sich in dieser Woche die Reise nach Basel lohnt? Sicherlich nicht – man könnte Tage auf der Messe verbringen, sich mit Besitzern und Kuratoren unterhalten, und noch immer nicht jedes Auto, jede Geschichte, jedes Detail entdeckt haben. Es ist die Leistung der Organisatoren und Ideengeber der Grand Basel, dass sie die Automobile als Artefakte der Design- und Mobilitätsgeschichte inszenierten, die in ihrer kulturellen Bedeutung keinem Warhol-Druck, keinem Eames-Chair und keinem Corbusier-Bungalow unterlegen sind. Wie die Art Basel soll auch die Grand Basel dreimal im Jahr stattfinden; im Frühjahr 2019 werden Veranstaltungen in Miami Beach und Hong Kong folgen. Wer das goldene Kalb Automobil künftig durchs Dorf treiben will, muss sich an diesem neuen Standard messen lassen.
Fotos: Robert Cooper for Classic Driver © 2018